Montag, 13. Februar 2012

Güteroffensive statt Gesundschrumpfen: Wie ein Schweizer Verkehrsfachmann die SBB- Güterbahn revolutionieren will

In der Schweiz ist die Bahnwelt in Ordnung, denken viele. Nirgendwo sonst auf der Welt fahren die Personenzüge so einen dichten Taktfahrplan im ganzen Land und werden Güter in großer Zahl auch über kurze Strecken von Anschlussgleis zu Anschlussgleis befördert. Das ist sehr kundenfreundlich, aber leider auch aufwendig. Und letzteres ist der Grund, warum die Schweiz ihr gutes Güterzugsystem Gesundschrumpfen will. Wenn da nicht Erinnerungen an die Deutsche Bundesbahn und MORA C bei der Deutschen Bahn und an die deutsche Verkehrspolitik hochkommen, die sich ja auch weitgehend aus der Fläche zurückgeschrumpft hat.

 
Güter gehören auf die Bahn!
Elektromobilität mit Tradition und Perfektion. 
 


Zu einem Abbau von Güterverkehr muss es nicht kommen, meint Andreas Bieniok, Leiter des Amtes für öffentlichen Verkehr des Kantons St. Gallen: „Besser wäre ein integrierter kombinierter Verkehr mit einfachen Umladesystemen.“ Und wie er das meint, führte er in der Neuen Züricher Zeitung vom 31.01.2012 aus.

Zur Ausgangslage:

506 Ladestellen für den Güterverkehr werden in der Schweiz per Schiene verbunden. Allerdings sorgen davon nur ca. 250 Ladestellen für für 95% des Wagenaufkommens, die anderen ca. 250 Ladestellen erzeugen nur 5% des Wagenverkehrs. Und so meinen viele in der Schweiz, auf diese 5% könne die Bahn verzichten.

«Güter auf die Bahn» lautet ein Werbespruch aus den siebziger Jahren, aber das wollen viele nicht um jeden Preis.
Andreas Bieniok: „Im Güterverkehr innerhalb der Schweiz hat die Bahn noch eine beachtliche Stellung. Der Transport von Zement, Holz oder Futtermitteln erfolgt mit Einzelwagen bis in Anschlussgleise.“ Aber die Hälfte der Bedienpunkte bringe weniger als 1000 Wagen im Jahr oder 3 bis 5 Wagen pro Tag.
Aber ließe sich durch Gesundschrumpfen die Bahn sanieren? Auch wenn es nur 5% des Frachtaufkommens sind, steigen mit der Umweltbelastung die externen Kosten und wenn LKW- Transporteure einmal durch einen Abbau dieser 5% den Fuß in Türen zu den Versandabteilungen vieler Firmen haben, werden die versuchen, weitere Anteile aus dem Kuchen herauszuholen.
Fakt ist, die heutigen Güterzüge sind zu teuer und verursachen so ein Defizit. Aber kann man nachhaltig Kosten sparen, wenn man einfach diese Güterzugleistungen einstellt und jeden zweiten Bedienpunkt für Wagenladungen aufgibt?

Wenn die Vorgaben künftig mindestens mehr als fünf gemeinsam beförderten Bahnwagen pro Tag für eine Ladestelle fordern, verspielt die Eisenbahn ihre Chancen, flächendeckend LKW- Verkehre von der Straße zu übernehmen. „Nur wenn einzelne Lastwagenladungen praktisch an jedem Bahnhof auf die Schiene wechseln können, ergeben sich möglichst lange Transportwege auf der Schiene,“ stellt Bieniok fest.

 
Güterverkehr auf der schmalspurigen Rhätischen Bahn,
hier beim Anschlussgleis des Zementwerkes von Arosa.
Auch für recht kurze Transportweiten sind hier schmalspurige 
Güterwagen nicht nur für Holz und Schotter im Einsatz. 
Hinzu kommen Wechselbehälter, im Bild ein
Kühlcontainer der Supermarktkette COOP. 
Und wer den Container genau anschaut sieht Türen an der Seite, 
so kann auch an klassischen Ladegleisen
der Container be- und entladen werden.


Andreas Bieniok meint entdeckt zu haben, wo die Kosten wirklich entstehen und wo durch die beabsichtigte Schrumpfung reale Einsparungen geschaffen werden.

Bieniok sagt, würde man die Güterzüge so zusammenstellen, dass die Waggons entsprechend der Transportweite sortiert sind, bräuchte man an jedem Bahnhof die entsprechenden Wagen nur abzuhängen. Sie könnten ohne weitere Rangiervorgänge in die Ladegleise geschoben werden. Demnach seien nicht Ladepunkte an sich der Kostentreiber, sondern das aufwendige Rangieren.

„Effizient transportieren heißt effizient sortieren“, formuliert Bieniok sein Credo für eine bessere Güterbahn.

Aber um die Reihenfolge der Waggons mit der Reihenfolge der Ziel- Ladestellen in Übereinstimmung zu bringen, müssten beim heutigen Zugsystem alle Züge noch einmal zerlegt werden und für jedes Ziel ein Sortiergleis haben. Das ist aber ebenso eine Kostenquelle, wie das Rangieren am Ladepunkt.

Bieniok schlägt deshalb ein neues Sortieren vor, dass nicht nur eine Sortierrichtung kennt, sondern zwei bis drei. Als Beispiel führt Bieniok die Luftfracht an, wo Rollcontainer in der richtigen Reihenfolge bereitgestellt werden. Auch Paletten werden so auf LKW geladen, dass diese so stehen, das die, die zum Entladen anstehen, immer vorne stehen.

Nur ein preiswerter Sortiervorgang vom „Ferngüterzug“ (was in der Schweiz ein sehr relativer Begriff wäre) auf den Regionalgüterzug verbilligt die Transportkette auf der Schiene, so dass die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem durchgehenden LKW- Verkehr möglich wird.

Zwar soll von der SBB zwischen Dietikon und Renens ein Containerzug im Binnenverkehr fahren und es soll schrittweise ein Netz von Terminals aufgebaut werden. Aber das ist kein neuer Weg und wurde in den vergangenen 15 Jahren immer wieder gefordert. Aber auch wenn die SBB von Gateway-Terminals sprechen, erkennen die die wesentlichen Vorteile der Frachtbeförderung in Behältern im Vergleich zu Bahnwagen nicht und merken nicht, was den besten Erfolg bringt. Transportbehälter sortieren statt Waggons rangieren sind laut Bieniok angesagt, das bringt die Wirtschaftlichkeit und nicht die Reduzierung der Ladestellen für den Umschlag Schiene-Straße.

Der Abbau der Ladestellen im klassischen Wagenladungsverkehr und der „Aufbau neuer Punkt-Punkt-Kombiverkehrsangebote sind die falsche Strategie für den Binnengüterverkehr“, stellt Bieniok fest. Das führe unweigerlich in die Sackgasse. Er fordert in der Fläche eine radikale Umstellung und eine Trennung von Bahnwaggon und dem darauf beförderten Güterbehälter. Die Behälter können unter Nutzung aller 3 Raumdimensionen sortiert werden und so kann die Bahn auch die vielen kleinen Transportmengen wirtschaftlich bündeln und so LKW- Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern. So könnte die Bahn endlich ihre Frachtpotentiale voll ausnutzen und einen stärkeren Beitrag zum Ressourcen- , Umwelt- und Klimaschutz leisten.

Wäre noch eines zu ergänzen. Die heutigen Standartcontainer nutzen das Lichtraumprofil der Bahn nicht aus. Warum werden für den reinen Schienentransport keine Container entwickelt, die das volle Lichtraumprofil der Eisenbahn nutzen und dann pro Waggon mehr Fracht aufnehmen können. Diese Container könnten durchaus auch mal die letzte Meile oder werksintern per LKW befördert werden, sind aber nicht für den Langstreckentransport auf anderen Verkehrsmitteln gedacht, sondern zur Stärkung der Stellung der Bahn im Güterverkehrsmarkt. Da diese Güterbahn von unten her vollkommen neu aufgebaut werden müsste, könnten nach und nach die Umlade-LKW und Kräne geschaffen werden, die die neunen Bahn- und die alten Standartcontainer umsetzen können. Die Einführung muss in Schritten geschehen, etwa von den Seehäfen zu Hauptumladepunkten in allen Ballungsräumen und nach und nach werden die Regionalübergabefahrten für die Fläche eingeführt. Die Knoten werden stündlich oder öfter verbunden und auf Zweigstrecken sollte es minimal 4 Übergabefahrten am Tag geben oder bei geringen Aufkommen das Anhängen motorisierter Container-Wagons an Regionalzüge. Am Ziel trennt sich der Wagon vom Zug und rangiert aus eigener Kraft auf das Umladegleis. 

Der ehemalige Bahnhof der Kreisstadt Olpe,
hier könnte ein Logistikzentrum für Stadt und Region entstehen.
Aber die Gleise sind weg und die Fläche dürfte bald verbaut sein.
Für den Personenverkehr endet die Strecke mit einem
Stumpfgleis im Rücken des Fotographen. 
Güterverkehr ist hier derzeit nicht mehr vorgesehen. 

  

Bis so ein Konzept steht, dürfen keine Bahnflächen mehr verkauft werden. An vielen orten sind die Flächen, die für so eine neue Güterbahn gebraucht würden schon für kurzfristigen Profit verscherbelt worden. Ebene Flächen, die nur mit einer zeitgemäßen Ausstattung versehen werden müssen, gehen so verloren. Wer eine Verkehrswende zur Bahn will muss mit diesem Ausverkauf der Bahn aufhören. Denn die Flächen werden bei einer richtig ausgebauten Bahn in sehr vielen Fällen dringend benötigt.


Güter auf Bahn, ganz einfach!
https://www.youtube.com/watch?v=5HA11a0SMkk


Für mich ist das nichts neues, aber es ist immer gut, wenn eigene Gedanken oder Inhalte, die vor Jahren in der Zeitschrift "SCHIENE" standen, von einem Verkehrsfachmann bestätigt werden. Denn das was hier steht, habe ich u.a. vor einigen Jahren als Leserbrief gefordert, der im Handelsblatt und der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. Auch die Idee, eine neue Containerbahn zu schaffen ist nicht neu.

Andreas Bieniok leitet seit 1999 das Amt für öffentlichen Verkehr des Kantons St. Gallen und war von 1993 bis 1996 Leiter eines Bundesprogramms für energiesparenden und umweltschonenden Güterverkehr.  

Noch eine Ergänzung: Wir haben Personalmangel bei Fuhrunternehmen, Bahn und ÖPNV. Ist es da noch sinnvoll so viele Ladungen, die man auf der Schiene bündeln kann, mit je einem Fahrer zu versehen? Oder sollte man LKW-Verkehr mit diesem hier erwähnten Konzept auf die Schiene verlagern und die frei werdenden LKW-Fahrer zu Busfahrern und Lokführern weiterbilden? 

Und jeder Regionalgüterzug könnte auf der Straße von einem Mobiler-LKW begleitet werden, der an Ausweichgleisen oder wenn Zeit ist auch auf offener Strecke Container zwischen Zug und LKW hin- und her schieben kann. Unternehmen könnten statt eines teuren oder nicht machbaren Anschlussgleises sich Mobiler-LKW besorgen, um an die Schiene angebunden zu sein. Damit könnten die auch Service für Dritte anbieten. Auch vorhandene Anschlussgleise könnten dritten geöffnet werden, um deren Auslastung zu erhöhen. 

Zum folgend eingebetteten Video: Technik aus dem Vorletzten Jahrhundert, der klassische Rangierbahnhof. Zwar werden die Abläufe mit modernster Technik überwacht, sie haben sich aber im Grundsatz seit 150 Jahren nicht geändert. Besser wäre es Linienzüge werden im Ankunftsbereich entladen, rollen zum Beladebereich und werden da beladen. Die Waggons haben keine Standzeiten am Rangierbahnhof mehr und die Transportboxen werden so schnell wie gefordert auf den nächsten Linienzug aufgeladen. Waggons für hohe Geschwindigkeiten fahren nur im Fernverkehr, andere Waggons, evt. mit eigenem Motor zum Rangieren fahren nur im Übergabeverkehr zu den dezentralen Ladepunkten und Anschlussgleisen.  


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