Zitate von Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Branchenverband für über 600 Unternehmen des öffentlichen Personen- und Schienengüterverkehrs.
„Die Entwicklung und Dynamik, die das 9-Euro-Ticket genommen hat, hat mit der bundesweiten Ticketgültigkeit und dem Umstand, dass 48 Prozent der Bürgerinnen und Bürger ein solches Ticket in der Tasche haben, eine Situation geschaffen, hinter der wir nicht mehr zurückgehen können, zumal die Beweggründe – Entlastung der Bürgerinnen und Bürger zu Gunsten einer klimafreundlichen Mobilität – mehr denn je bestehen. Allen Entscheidungsträgerinnen und -trägern war von Anfang an klar, dass der Signalpreis von neun Euro nicht länger als drei Monate finanzierbar sein wird – auch angesichts der stark gestiegenen Energie-, Personal- und Materialkosten bei den Verkehrsunternehmen.
Die von Bund und Ländern beauftragte Marktforschung zum 9-Euro-Ticket, die Verkaufszahlen und weitere Erkenntnisse zeichnen ein scharfes Bild von den Möglichkeiten und Grenzen eines bundesweit gültigen ÖPNV-Klimatickets als Anschlusslösung. Diese muss bundesweit gültig sein, entlastend wirken – und darf nicht in Konkurrenz zum Ausbau des Angebots im ÖPNV stehen.
Ausgehend von der Prämisse, dass die ÖPNV-Tarife der Verkehrsverbünde für das Gros der Fahrgäste weiterhin attraktiv sein werden, schlagen wir insbesondere für diejenigen, die sich in der Marktforschung als relevante Zielgruppe erwiesen haben – zahlungswillige Autofahrerinnen und -fahrer – ein bundesweit gültiges ÖPNV-Klimaticket für 69 Euro pro Monat als einfache Fahrtberechtigung der 2. Klasse vor. Gleichzeitig würde so sichergestellt, dass neu hervorgerufene Mehrfahrten, wie beim 9-Euro-Ticket, auf einem vertretbaren Maß gehalten werden. Die Branche ist in der Lage, ab dem 1. September ein solches Klimaticket anzubieten. Dafür brauchten wir allerdings sehr schnell den entsprechenden Auftrag seitens der Politik. In einem zweiten Schritt für den 1. Januar 2023 könnten dann zum Beispiel sozialpolitisch wünschenswerte Varianten vorbereitet werden.
Das Klimaticket für 69 Euro wird Mehraufwendungen von etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr nach sich ziehen, die getragen werden müssen. Über das Verfahren des ÖPNV-Rettungsschirmes lässt sich dieses bis Ende des Jahres einfach umsetzen, für das neue Jahr braucht es dann eine neue Regelung.“
Kommentar von Felix Staratschek:
Die Aussage ist begrüßenswert, stellt das doch eine deutliche Verbesserung dar.
69 Euro soll das neue Ticket kosten.
68 bis 69 Euro ksotet eine VRS-Monatskarte für eine Tarifzone / Großstadt / Landkreis.
63 bis 85 Euro kostet so ein Ticket im VRR.
Das heißt, man kann künftig über Zeitkarten zum Preis einer Stadt durch Deutschland fahren. Probleme mit vielen Tarifen entfallen. Wer in Radevormwald sich die Monatskarte kauft, kann damit dann auch in Hamburg, Hannover, München, Berlin oder in Urlaubsregionen mobil sein. Tarifgrenzen spielen keine Rolle mehr, Remscheider können wieder einfacher nach Radevormwald fahren und in Radevormwald wird die Tarifgrenze zwischen VRS und Westfalentarif endlich überwunden, so dass Pendler zum Radevormwalder Industriegebiet endlich alle Busse nutzen können.
Die Ansicht dass ein 9 Euro Ticket dauerhaft nicht finanzierbar sei, teile ich nicht, außer der Staat ruiniert sich durch die aktuelle Politik so sehr das auch das 69 Euro Ticket und der bestehende Nahverkehr nicht mehr finanziert werden können. Leider haben uns Kosten der Maßnahmen und die Folgen von Sanktionen sowie die Euro-Politik in eine Lage bebraucht, wo das Schlimmste nicht mehr ausgeschlossen werden kann.
Gut 13 Mrd. Euro verdienen die Verkehrsbetriebe an Tarifen. Darin sind jedoch Steuergelder für die Schülerbeföderung enthalten. Der Solidaritätszuschlag brachte 18 Mrd. Euro ein. Zusammen mit den Einsparungen die ein Nulltarif bringt könnte über einen ÖPNV-Soli der bestehende ÖPNV nicht nur finanziert, sondern sogar massiv augebaut werden.
Die Sorge vor neu hervorgerufenen Mehrfahrten sehe ich nicht. Natürlich gibt es bei einer auf 3 Monate begrenzten Aktion einen Schnäpcheneffekt und auch einer Verlagerung eh geplanter Fahrten in diese Zeit. Würde der fahrpreisfreie ÖPNV oder das 9 Euro Ticket die Regel, würden diese Effekte deutlich abnehmen.
Letztlich hat auch das 69 Euro Ticket ein großes Manko, denn man muss schon oft genug den ÖPNV nutzen, dass sich das Ticket lohnt. Von daher wird man viele Gelegenheitsfahrgäste, die noch bereit sind, 9 Euro zu zahlen, nicht mehr erreichen. Oder es müssten die Einzeltarife massiv gesenkt werden, um Autofahrer dazu zu bewegen, ab und zu den ÖPNV zu nutzen. Für Familien kommt hinzu, dass ein Auto immer das Gleiche kostet, egal ob eine oder 5 bis 9 Personen damit fahren. Während größere Autos 9 Insassen zulassen, hat der ÖPNV meist nur für bis zu 5 Personen Tagestarife. Die werden aber meist zu Preisen angeboten, die teurer sind als die variablen Kosten einer Autofahrt. Der einfachste Zugang zum ÖPNV ist, wenn es gar nichts mehr kostet, wenn man einsteigt. Dann kann jeder spontan sagen, diesmal nehme ich den ÖPNV. Siehe dazu meinen Beitrag zu den Fahrkosten von PKW und ÖPNV vom Oktober 2021: https://viertuerme.blogspot.com/2021/10/leserbrief-fahrtkosten-nicht-nur-autos.html
Dem VDV wäre mehr Mut zu wünschen, eine ÖPNV-Finanzierung zu fordern, die ohne Fahrpreise auskommt. Denn volkswirtschaftlich ist es egal, ob wir über Steuern oder Tarife den ÖPNV bezahlen. Da aber die hohe Inanspruchnahme des ÖPNV dessen volkswirtschaftlichen Nutzen steigert, ist die Finanzierung am besten, bei der sich die meisten Menschen für (gelegentliche) ÖPNV-Fahrten entscheiden. Jeder Tarif, der verhindert, dass Menschen vom Auto auf den ÖPNV umsteigen ist daher konztraprodukiv. Immerhin, der 9 Euro-Tarif liegt so nahe am fahrpreisfreien ÖPNV, dass gezeigt wurde, dass dieser für die ÖPNV-Unternehmen bedient werden kann. Hier und da müssen Kapazitäten angebpasst werden, was manchmal durch Busanhänger oder längere Züge sehr preiswert ist und manchmal mehr Fahrten und Ausbauten erfordert. Busanhänger sind die wirtschaftlichste Form der Kapazitätsdausweitung, da die erweiterte Kapazität nur bewegt werden muss, wenn die Nachfrage dafür da ist. Vorher und nachher können die Busse den Anhänger stehen lassen und so Treibstoff einsparen. Reisegruppen können sich anmelden, so dass dann per Anhänger kurzfristig die Kapazität erhöht werden kann. Heute sind Busse oft überfüllt, wenn Gruppen in einen Wagen einsteigen.
Bleibt noch die Frage ob das 69 Euro Ticket auch die Zusatzfunktionen behält, die akut viele Zeitkarten haben, wie die Mitnahme weiterer Personen am Abend und am Wochenende oder die Mitnahme von Fahrrädern.
Wird es das Ticket nur im Abo geben, oder kann man es sich auch für einen Monat kaufen, um damit in den Urlaub zu fahren? Gilt es nur immerhalb eines Monats oder gilt es von einem flexibel wählbaren Tag 31 Tage lang?
Immerhin scheint das günstige Ticket nicht den DB-Fernverkehr auszuhöhlen. Ich war mit einem Interrail-Ticket in Südtirol und habe dabei gut gefüllte ICE erlebt. Allerdings gab es auch einige Bus- und Zugausfälle, teilweise laut Ansage wegen plötzlichen Ausfall des Personals. Hat man etwas mit den Menschen gemacht, dass wir jetzt einen erhöhten Krankenstand haben? Ich habe das in so einem Ausmaß in früheren Jahren nicht erlebt. In Südtirol bezahlen Urlauber den ÖPNV über die Kurtaxe und haben dann während ihres Aufenthaltes freie Fahrt in der autonomen Provinz.
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