Der Papst gab im Januar 2012 den alljährigen Neujahrsempfang für die Diplomaten. Die Rede im Wortlaut, nur Höfliochkeitsfloskeln der Rede wurden herausgenommen und die Zwischenüberschriften ergänzt, um den Text leichter lesbar zu machen. Hervorhebungen im Text sind vom Blog- Admin.
Exzellenzen! Sehr geehrte Damen und Herren!
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Ich darf nicht unerwähnt lassen, dass der Heilige Stuhl im vergangenen Dezember seine lange Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration verstärkt hat, indem er deren Vollmitglied geworden ist. Dabei handelt es sich um ein Zeugnis für das Engagement des Heiligen Stuhls und der katholischen Kirche an der Seite der internationalen Gemeinschaft bei der Suche nach geeigneten Lösungen für dieses Phänomen, das zahlreiche Aspekte umfasst: vom Schutz der Menschenwürde bis hin zur Sorge um das Gemeinwohl der Gemeinschaften, die Migranten aufnehmen oder aus denen sie kommen.
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Meine Damen und Herren Botschafter, die heutige Begegnung findet traditionell im Anschluss an die weihnachtlichen Festtage statt, an denen die Kirche das Kommen des Erlösers feiert. Er kommt in das Dunkel der Nacht, und doch ist seine Gegenwart unmittelbar Quelle des Lichtes und der Freude (vgl. Lk 2,9-10). Die Welt ist wahrlich finster, wo sie nicht vom göttlichen Licht erleuchtet wird! Die Welt ist wahrlich dunkel dort, wo der Mensch das Band zu seinem Schöpfer nicht mehr erkennt und somit auch seine Beziehungen zu den anderen Geschöpfen und zur Schöpfung selbst in Gefahr bringt. Die gegenwärtige Zeit ist leider von einem tiefen Unbehagen gekennzeichnet, und die verschiedenen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krisen sind dessen dramatischer Ausdruck.
Wirtschafts- und Finanzpolitik
In diesem Zusammenhang kann ich nicht umhin, vor allem die schwerwiegenden und besorgniserregenden Entwicklungen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise zu erwähnen. Diese hat nicht nur die Familien und die Unternehmen in den Wirtschaftsnationen getroffen, wo sie ihren Ursprung hatte und eine Situation geschaffen hat, in der viele – besonders unter den Jugendlichen – sich in ihrem Streben nach einer ungetrübten Zukunft orientierungslos und enttäuscht gefühlt haben, sondern sie hat sich auch auf das Leben in den Entwicklungsländern stark ausgewirkt. Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, sondern müssen mit neuen Formen des Engagements entschieden unseren Weg einschlagen. Die Krise kann und muss ein Ansporn sein, um über die menschliche Existenz und die Bedeutung ihrer ethischen Dimension nachzudenken, noch bevor man dies in Bezug auf die Mechanismen tut, die das Wirtschaftsleben steuern: nicht nur um zu versuchen, die individuellen Verluste oder die der nationalen Wirtschaften einzudämmen, sondern um neue Regeln für uns aufzustellen, die allen die Möglichkeit garantieren, ein Leben in Würde zu führen und ihre Fähigkeiten zum Wohl der ganzen Gemeinschaft zur Entfaltung zu bringen.
Die Krise und junge Menschen
Ich möchte nochmals darauf zurückkommen, dass die Auswirkungen der derzeitigen unsicheren Lage vor allem die jungen Menschen treffen. Ihrer Notlage entsprangen die Unruhen, die in den letzten Monaten verschiedene Regionen teilweise hart getroffen haben. Ich beziehe mich vor allem auf Nordafrika und den Nahen Osten, wo die Jugendlichen, die unter anderem unter Armut und Arbeitslosigkeit leiden und das Fehlen von sicheren Perspektiven fürchten, etwas in Gang gebracht haben, das zu einer breiten Bewegung geworden ist, die Reformen fordert sowie eine aktivere Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben. Gegenwärtig ist es schwierig, eine endgültige Bilanz der jüngsten Ereignisse zu ziehen und deren Folgen für das Gleichgewicht in der Region ganz zu verstehen. Der anfängliche Optimismus ist jedoch der Erkenntnis der Schwierigkeiten dieser Zeit des Übergangs und des Wandels gewichen, und es scheint mir offensichtlich zu sein, dass die angemessene Weise, den begonnenen Weg fortzusetzen, über die Anerkennung der unveräußerlichen Würde jeder menschlichen Person und ihrer Grundrechte führt. Die Achtung der menschlichen Person muss im Mittelpunkt der Institutionen und Gesetze stehen, sie muss zur Beendigung jeglicher Gewalt führen und der Gefahr vorbeugen, dass sich die den Forderungen der Bürger geschuldete Aufmerksamkeit und die notwendige gesellschaftliche Solidarität in bloße Instrumente des Machterhalts oder der Machtergreifung verwandeln. Ich lade die internationale Gemeinschaft ein, mit den Beteiligten des derzeitigen Prozesses einen Dialog zu führen – unter Respekt vor den Völkern und im Bewusstsein, dass der Aufbau von stabilen und versöhnten Gesellschaften, die sich jeder ungerechten Diskriminierung vor allem religiöser Natur entgegenstellen, eine größere und weiterreichende Perspektive darstellt als der Blick auf Wahltermine.
Nordafrika und naher Osten
Ich empfinde große Sorge um die Bevölkerungen jener Länder, in denen die Spannungen und die Gewalt andauern, insbesondere in Syrien, für das ich auf ein schnelles Ende des Blutvergießens hoffe und auf den Beginn eines fruchtbaren Dialogs zwischen den politisch Beteiligten, der von der Präsenz unabhängiger Beobachter unterstützt wird. Im Heiligen Land, wo die Spannungen zwischen Palästinensern und Israelis Auswirkungen auf das Gleichgewicht im ganzen Nahen Osten haben, müssen die Verantwortlichen beider Völker mutige und weitsichtige Entscheidungen zugunsten des Friedens treffen. Ich habe mit Freude vernommen, dass infolge einer Initiative des Königreichs Jordanien der Dialog wieder aufgenommen wurde. Ich hoffe darauf, dass er fortgesetzt wird, damit man zu einem dauerhaften Frieden gelangt, der das Recht beider Völker garantiert, in souveränen Staaten und innerhalb von sicheren und unter Achtung der Rechte aller Beteiligten international anerkannten Grenzen in Sicherheit zu leben. Die internationale Gemeinschaft muss ihrerseits ihre eigene Gestaltungskraft und Initiativen zur Unterstützung dieses Friedensprozesses intensivieren. Mit großer Aufmerksamkeit verfolge ich auch die Entwicklungen im Irak und bedauere die Anschläge, die erst kürzlich zahlreiche Menschenleben gefordert haben. Ich ermutige seine Verantwortungsträger, mit Entschiedenheit den Weg der vollen nationalen Aussöhnung fortzusetzen.
Die Erziehung der Jugend
Der selige Johannes Paul II. erinnerte daran, dass der „Weg des Friedens zugleich der Weg der Jugend ist“[1], denn die jungen Menschen sind „die Jugend der Völker und Gesellschaften, die Jugend der Familien und der ganzen Menschheit“[2]. Die Jugendlichen spornen uns also dazu an, ihre Forderungen nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Daher habe ich ihnen die jährliche Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages gewidmet, die den Titel trägt: Die jungen Menschen zur Gerechtigkeit und zum Frieden erziehen. Die Erziehung ist ein Schlüsselthema für alle Generationen, denn von ihr hängt sowohl die gesunde Entwicklung jeder Person ab als auch die Zukunft der ganzen Gesellschaft. Deshalb stellt sie in einer schwierigen und heiklen Zeit eine Aufgabe von höchster Wichtigkeit dar.
Ehe und Familie
Außer einem klaren Ziel wie dem, die Jugendlichen zu einer vollen Kenntnis der Realität und damit der Wahrheit zu führen, braucht die Erziehung auch Räume. Unter diesen steht die auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gegründete Familie an erster Stelle. Es handelt sich dabei nicht um eine bloße gesellschaftliche Konvention, sondern um die Grundzelle der ganzen Gesellschaft. Folglich bedroht eine Politik, welche die Familie gefährdet, die Würde des Menschen und die Zukunft der Menschheit selbst. Der familiäre Rahmen ist grundlegend auf dem Erziehungsweg und für die Entwicklung der Individuen und der Staaten; demnach ist eine Politik notwendig, die den Wert der Familie betont und den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Dialog unterstützt. Die Familie ist der Ort, an dem man sich der Welt und dem Leben öffnet, und, wie ich anlässlich meiner Reise nach Kroatien gesagt habe, „das Offensein für das Leben ist ein Zeichen für das Offensein gegenüber der Zukunft“[3].
PID
In diesem Zusammenhang des Offenseins für das Leben nehme ich mit Genugtuung das kürzlich erfolgte Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union zur Kenntnis, das die Patentierung von Verfahren verbietet, bei denen menschliche embryonale Stammzellen verwendet werden, wie auch den Beschluss der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, der die pränatale Selektion aufgrund des Geschlechts verurteilt.
Abtreibung
Generell bin ich, vor allem mit Blick auf die westliche Welt, davon überzeugt, dass Gesetzesmaßnahmen, welche die Abtreibung aus persönlichen Motiven der Nützlichkeit oder aus zweifelhaften medizinischen Gründen nicht nur erlauben, sondern zuweilen sogar fördern, der Erziehung der Jugendlichen und damit der Zukunft der Menschheit entgegenstehen.
Zur Rolle der Bildungseinrichtungen
Wenn wir unsere Überlegungen fortsetzen, sehen wir, dass eine ebenso wesentliche Rolle für die Entwicklung der Person den Erziehungs- und Bildungseinrichtungen zukommt: Sie sind die ersten Instanzen, die mit der Familie zusammenarbeiten, und haben Mühe, ihre Aufgabe zu erfüllen, wenn hinsichtlich der Ziele eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit der Familie fehlt. Es ist notwendig, eine Bildungspolitik umzusetzen, dass die Schulbildung allen offensteht und über die Förderung der kognitiven Entwicklung der Person hinaus für ein harmonisches Heranreifen der Persönlichkeit Sorge trägt, einschließlich ihrer Offenheit für die Transzendenz. Die katholische Kirche war im Bereich der schulischen und akademischen Einrichtungen immer besonders tätig und leistete so an der Seite der staatlichen Institutionen eine Arbeit, die sehr geschätzt wurde. Ich hoffe daher, dass dieser Beitrag auch in den nationalen Gesetzgebungen Anerkennung und Förderung erfährt.
Zur Religionsfreiheit und Christenverfolgung
Aus dieser Sicht ist sehr gut verständlich, dass eine wirksame Erziehungsarbeit ebenso die Achtung der Religionsfreiheit erfordert. Diese kennzeichnet eine individuelle wie auch eine gemeinschaftliche und institutionelle Dimension. Es handelt sich um das erste Menschenrecht, weil sie Ausdruck der grundlegendsten Wirklichkeit des Menschen ist. Allzu häufig wird dieses Recht aus verschiedenen Gründen weiterhin eingeschränkt oder verhöhnt. Ich kann dieses Thema nicht ansprechen, ohne zunächst des pakistanischen Ministers Shahbaz Bhatti zu gedenken, dessen unermüdlicher Kampf für die Rechte der Minderheiten durch seinen tragischen Tod ein Ende gefunden hat. Es handelt sich hier leider nicht um einen Einzelfall. In zahlreichen Ländern werden die Christen ihrer Grundrechte beraubt und aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt; in anderen Ländern erleiden sie gewaltsame Angriffe auf ihre Kirchen und Wohnungen. Manchmal sind sie aufgrund der anhaltenden Spannungen und einer Politik, die sie häufig in die Rolle von untergeordneten Zuschauern des nationalen Lebens verbannt, gezwungen, die Länder zu verlassen, zu deren Aufbau sie beigetragen haben. In anderen Teilen der Welt ist eine Politik anzutreffen, die darauf abzielt, die Rolle der Religion im gesellschaftlichen Leben an den Rand zu drängen, als wäre sie Ursache der Intoleranz und nicht vielmehr ein schätzenswerter Beitrag für die Erziehung zur Achtung der Menschenwürde, zur Gerechtigkeit und zum Frieden.
Religiöser Terrorismus
Der religiös motivierte Terrorismus hat auch im vergangenen Jahr zahlreiche Opfer hinweggerafft, vor allem in Asien und Afrika, und daher müssen die religiösen Verantwortungsträger, wie ich in Assisi in Erinnerung gerufen habe, mit Nachdruck und Entschiedenheit wiederholen: „Dies ist nicht das wahre Wesen der Religion. Es ist ihre Entstellung und trägt zu ihrer Zerstörung bei.“[4] Religion darf nicht als Vorwand benutzt werden, um die Normen der Gerechtigkeit und des Rechts um des angestrebten „Gutes“ willen beiseite zu schieben. In dieser Hinsicht erinnere ich mit Stolz daran, wie ich es in meinem Heimatland getan habe, dass für die Väter des deutschen Grundgesetzes das christliche Menschenbild die wahre Inspirationsquelle war, wie es das im übrigen auch für die Gründerväter des geeinten Europas war. Ich möchte auch einige ermutigende Zeichen im Bereich der Religionsfreiheit erwähnen. Ich beziehe mich auf die Gesetzesänderung, durch welche die öffentliche Rechtspersönlichkeit der religiösen Minderheiten in Georgien anerkannt wurde; ich denke auch an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugunsten der Anbringung von Kreuzen in italienischen Schulzimmern.
Italien
Und gerade zu Italien möchte ich zum Abschluss des 150jährigen Jubiläums seiner politischen Einigung einen besonderen Gedanken sagen. Die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem italienischen Staat haben nach der Einigung schwierige Augenblicke erlebt. Im Lauf der Zeit jedoch haben die Eintracht und der gegenseitige Wille zur Zusammenarbeit obsiegt, um – jeder in seinem eigenen Bereich – das Gemeinwohl zu fördern. Ich hoffe darauf, dass Italien weiterhin eine ausgewogene Beziehung zwischen Kirche und Staat fördert und so ein Vorbild sein möge, auf das sich andere Nationen mit Respekt und Interesse beziehen können.
Afrika
Es ist von grundlegender Wichtigkeit, dass auf dem afrikanischen Kontinent, den ich kürzlich anläßlich meiner Reise nach Benin erneut besucht habe, die Zusammenarbeit zwischen den christlichen Gemeinschaften und den Regierungen dazu beiträgt, einen Weg der Gerechtigkeit, des Friedens und der Versöhnung zu beschreiten, wo die Mitglieder aller Ethnien und Religionen geachtet werden. Es ist schmerzlich festzustellen, dass in verschiedenen Ländern dieses Kontinents dieses Ziel noch in weiter Ferne liegt. Ich denke insbesondere an das Wiederausbrechen der Gewalt in Nigeria, woran die Anschläge auf mehrere Kirchen in der Weihnachtszeit erinnert haben, an die Folgen des Bürgerkrieges in der Elfenbeinküste, an die anhaltende Instabilität in der Region der großen Seen und an die humanitäre Notlage in den Ländern am Horn von Afrika. Einmal mehr fordere ich die internationale Gemeinschaft dazu auf, rasch zu helfen, eine Lösung für die Krise zu finden, die seit Jahren schon in Somalia andauert.
Achtung der Schöpfung
Schließlich liegt es mir am Herzen zu unterstreichen, dass eine richtig verstandene Erziehung die Achtung der Schöpfung nur unterstützen kann. Unmöglich kann man die schweren Naturkatastrophen, die 2011 verschiedene Regionen Südostasiens getroffen haben, und die ökologischen Katastrophen wie die des Atomkraftwerks von Fukushima in Japan vergessen. Die Bewahrung der Umwelt, die Synergie zwischen dem Kampf gegen die Armut und dem Kampf gegen den Klimawandel stellen wichtige Bereiche für die Förderung der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen dar. Deshalb hoffe ich darauf, dass die internationale Gemeinschaft – im Anschluss an die XVII. Sitzung der Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention, die vor kurzem in Durban zu Ende gegangen ist – sich als echte „Familie der Nationen“ und daher mit einem hohen Sinn für Solidarität und Verantwortungsgefühl gegenüber den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen auf die UN-Konferenz über die nachhaltige Entwicklung („Rio+20“) vorbereitet.
Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren!
[1] Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Dilecti amici, 31. März 1985, 15.
Exzellenzen! Sehr geehrte Damen und Herren!
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Ich darf nicht unerwähnt lassen, dass der Heilige Stuhl im vergangenen Dezember seine lange Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration verstärkt hat, indem er deren Vollmitglied geworden ist. Dabei handelt es sich um ein Zeugnis für das Engagement des Heiligen Stuhls und der katholischen Kirche an der Seite der internationalen Gemeinschaft bei der Suche nach geeigneten Lösungen für dieses Phänomen, das zahlreiche Aspekte umfasst: vom Schutz der Menschenwürde bis hin zur Sorge um das Gemeinwohl der Gemeinschaften, die Migranten aufnehmen oder aus denen sie kommen.
.......
Meine Damen und Herren Botschafter, die heutige Begegnung findet traditionell im Anschluss an die weihnachtlichen Festtage statt, an denen die Kirche das Kommen des Erlösers feiert. Er kommt in das Dunkel der Nacht, und doch ist seine Gegenwart unmittelbar Quelle des Lichtes und der Freude (vgl. Lk 2,9-10). Die Welt ist wahrlich finster, wo sie nicht vom göttlichen Licht erleuchtet wird! Die Welt ist wahrlich dunkel dort, wo der Mensch das Band zu seinem Schöpfer nicht mehr erkennt und somit auch seine Beziehungen zu den anderen Geschöpfen und zur Schöpfung selbst in Gefahr bringt. Die gegenwärtige Zeit ist leider von einem tiefen Unbehagen gekennzeichnet, und die verschiedenen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krisen sind dessen dramatischer Ausdruck.
Wirtschafts- und Finanzpolitik
In diesem Zusammenhang kann ich nicht umhin, vor allem die schwerwiegenden und besorgniserregenden Entwicklungen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise zu erwähnen. Diese hat nicht nur die Familien und die Unternehmen in den Wirtschaftsnationen getroffen, wo sie ihren Ursprung hatte und eine Situation geschaffen hat, in der viele – besonders unter den Jugendlichen – sich in ihrem Streben nach einer ungetrübten Zukunft orientierungslos und enttäuscht gefühlt haben, sondern sie hat sich auch auf das Leben in den Entwicklungsländern stark ausgewirkt. Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, sondern müssen mit neuen Formen des Engagements entschieden unseren Weg einschlagen. Die Krise kann und muss ein Ansporn sein, um über die menschliche Existenz und die Bedeutung ihrer ethischen Dimension nachzudenken, noch bevor man dies in Bezug auf die Mechanismen tut, die das Wirtschaftsleben steuern: nicht nur um zu versuchen, die individuellen Verluste oder die der nationalen Wirtschaften einzudämmen, sondern um neue Regeln für uns aufzustellen, die allen die Möglichkeit garantieren, ein Leben in Würde zu führen und ihre Fähigkeiten zum Wohl der ganzen Gemeinschaft zur Entfaltung zu bringen.
Die Krise und junge Menschen
Ich möchte nochmals darauf zurückkommen, dass die Auswirkungen der derzeitigen unsicheren Lage vor allem die jungen Menschen treffen. Ihrer Notlage entsprangen die Unruhen, die in den letzten Monaten verschiedene Regionen teilweise hart getroffen haben. Ich beziehe mich vor allem auf Nordafrika und den Nahen Osten, wo die Jugendlichen, die unter anderem unter Armut und Arbeitslosigkeit leiden und das Fehlen von sicheren Perspektiven fürchten, etwas in Gang gebracht haben, das zu einer breiten Bewegung geworden ist, die Reformen fordert sowie eine aktivere Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben. Gegenwärtig ist es schwierig, eine endgültige Bilanz der jüngsten Ereignisse zu ziehen und deren Folgen für das Gleichgewicht in der Region ganz zu verstehen. Der anfängliche Optimismus ist jedoch der Erkenntnis der Schwierigkeiten dieser Zeit des Übergangs und des Wandels gewichen, und es scheint mir offensichtlich zu sein, dass die angemessene Weise, den begonnenen Weg fortzusetzen, über die Anerkennung der unveräußerlichen Würde jeder menschlichen Person und ihrer Grundrechte führt. Die Achtung der menschlichen Person muss im Mittelpunkt der Institutionen und Gesetze stehen, sie muss zur Beendigung jeglicher Gewalt führen und der Gefahr vorbeugen, dass sich die den Forderungen der Bürger geschuldete Aufmerksamkeit und die notwendige gesellschaftliche Solidarität in bloße Instrumente des Machterhalts oder der Machtergreifung verwandeln. Ich lade die internationale Gemeinschaft ein, mit den Beteiligten des derzeitigen Prozesses einen Dialog zu führen – unter Respekt vor den Völkern und im Bewusstsein, dass der Aufbau von stabilen und versöhnten Gesellschaften, die sich jeder ungerechten Diskriminierung vor allem religiöser Natur entgegenstellen, eine größere und weiterreichende Perspektive darstellt als der Blick auf Wahltermine.
Nordafrika und naher Osten
Ich empfinde große Sorge um die Bevölkerungen jener Länder, in denen die Spannungen und die Gewalt andauern, insbesondere in Syrien, für das ich auf ein schnelles Ende des Blutvergießens hoffe und auf den Beginn eines fruchtbaren Dialogs zwischen den politisch Beteiligten, der von der Präsenz unabhängiger Beobachter unterstützt wird. Im Heiligen Land, wo die Spannungen zwischen Palästinensern und Israelis Auswirkungen auf das Gleichgewicht im ganzen Nahen Osten haben, müssen die Verantwortlichen beider Völker mutige und weitsichtige Entscheidungen zugunsten des Friedens treffen. Ich habe mit Freude vernommen, dass infolge einer Initiative des Königreichs Jordanien der Dialog wieder aufgenommen wurde. Ich hoffe darauf, dass er fortgesetzt wird, damit man zu einem dauerhaften Frieden gelangt, der das Recht beider Völker garantiert, in souveränen Staaten und innerhalb von sicheren und unter Achtung der Rechte aller Beteiligten international anerkannten Grenzen in Sicherheit zu leben. Die internationale Gemeinschaft muss ihrerseits ihre eigene Gestaltungskraft und Initiativen zur Unterstützung dieses Friedensprozesses intensivieren. Mit großer Aufmerksamkeit verfolge ich auch die Entwicklungen im Irak und bedauere die Anschläge, die erst kürzlich zahlreiche Menschenleben gefordert haben. Ich ermutige seine Verantwortungsträger, mit Entschiedenheit den Weg der vollen nationalen Aussöhnung fortzusetzen.
Die Erziehung der Jugend
Der selige Johannes Paul II. erinnerte daran, dass der „Weg des Friedens zugleich der Weg der Jugend ist“[1], denn die jungen Menschen sind „die Jugend der Völker und Gesellschaften, die Jugend der Familien und der ganzen Menschheit“[2]. Die Jugendlichen spornen uns also dazu an, ihre Forderungen nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Daher habe ich ihnen die jährliche Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages gewidmet, die den Titel trägt: Die jungen Menschen zur Gerechtigkeit und zum Frieden erziehen. Die Erziehung ist ein Schlüsselthema für alle Generationen, denn von ihr hängt sowohl die gesunde Entwicklung jeder Person ab als auch die Zukunft der ganzen Gesellschaft. Deshalb stellt sie in einer schwierigen und heiklen Zeit eine Aufgabe von höchster Wichtigkeit dar.
Ehe und Familie
Außer einem klaren Ziel wie dem, die Jugendlichen zu einer vollen Kenntnis der Realität und damit der Wahrheit zu führen, braucht die Erziehung auch Räume. Unter diesen steht die auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gegründete Familie an erster Stelle. Es handelt sich dabei nicht um eine bloße gesellschaftliche Konvention, sondern um die Grundzelle der ganzen Gesellschaft. Folglich bedroht eine Politik, welche die Familie gefährdet, die Würde des Menschen und die Zukunft der Menschheit selbst. Der familiäre Rahmen ist grundlegend auf dem Erziehungsweg und für die Entwicklung der Individuen und der Staaten; demnach ist eine Politik notwendig, die den Wert der Familie betont und den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Dialog unterstützt. Die Familie ist der Ort, an dem man sich der Welt und dem Leben öffnet, und, wie ich anlässlich meiner Reise nach Kroatien gesagt habe, „das Offensein für das Leben ist ein Zeichen für das Offensein gegenüber der Zukunft“[3].
PID
In diesem Zusammenhang des Offenseins für das Leben nehme ich mit Genugtuung das kürzlich erfolgte Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union zur Kenntnis, das die Patentierung von Verfahren verbietet, bei denen menschliche embryonale Stammzellen verwendet werden, wie auch den Beschluss der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, der die pränatale Selektion aufgrund des Geschlechts verurteilt.
Abtreibung
Generell bin ich, vor allem mit Blick auf die westliche Welt, davon überzeugt, dass Gesetzesmaßnahmen, welche die Abtreibung aus persönlichen Motiven der Nützlichkeit oder aus zweifelhaften medizinischen Gründen nicht nur erlauben, sondern zuweilen sogar fördern, der Erziehung der Jugendlichen und damit der Zukunft der Menschheit entgegenstehen.
Zur Rolle der Bildungseinrichtungen
Wenn wir unsere Überlegungen fortsetzen, sehen wir, dass eine ebenso wesentliche Rolle für die Entwicklung der Person den Erziehungs- und Bildungseinrichtungen zukommt: Sie sind die ersten Instanzen, die mit der Familie zusammenarbeiten, und haben Mühe, ihre Aufgabe zu erfüllen, wenn hinsichtlich der Ziele eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit der Familie fehlt. Es ist notwendig, eine Bildungspolitik umzusetzen, dass die Schulbildung allen offensteht und über die Förderung der kognitiven Entwicklung der Person hinaus für ein harmonisches Heranreifen der Persönlichkeit Sorge trägt, einschließlich ihrer Offenheit für die Transzendenz. Die katholische Kirche war im Bereich der schulischen und akademischen Einrichtungen immer besonders tätig und leistete so an der Seite der staatlichen Institutionen eine Arbeit, die sehr geschätzt wurde. Ich hoffe daher, dass dieser Beitrag auch in den nationalen Gesetzgebungen Anerkennung und Förderung erfährt.
Zur Religionsfreiheit und Christenverfolgung
Aus dieser Sicht ist sehr gut verständlich, dass eine wirksame Erziehungsarbeit ebenso die Achtung der Religionsfreiheit erfordert. Diese kennzeichnet eine individuelle wie auch eine gemeinschaftliche und institutionelle Dimension. Es handelt sich um das erste Menschenrecht, weil sie Ausdruck der grundlegendsten Wirklichkeit des Menschen ist. Allzu häufig wird dieses Recht aus verschiedenen Gründen weiterhin eingeschränkt oder verhöhnt. Ich kann dieses Thema nicht ansprechen, ohne zunächst des pakistanischen Ministers Shahbaz Bhatti zu gedenken, dessen unermüdlicher Kampf für die Rechte der Minderheiten durch seinen tragischen Tod ein Ende gefunden hat. Es handelt sich hier leider nicht um einen Einzelfall. In zahlreichen Ländern werden die Christen ihrer Grundrechte beraubt und aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt; in anderen Ländern erleiden sie gewaltsame Angriffe auf ihre Kirchen und Wohnungen. Manchmal sind sie aufgrund der anhaltenden Spannungen und einer Politik, die sie häufig in die Rolle von untergeordneten Zuschauern des nationalen Lebens verbannt, gezwungen, die Länder zu verlassen, zu deren Aufbau sie beigetragen haben. In anderen Teilen der Welt ist eine Politik anzutreffen, die darauf abzielt, die Rolle der Religion im gesellschaftlichen Leben an den Rand zu drängen, als wäre sie Ursache der Intoleranz und nicht vielmehr ein schätzenswerter Beitrag für die Erziehung zur Achtung der Menschenwürde, zur Gerechtigkeit und zum Frieden.
Religiöser Terrorismus
Der religiös motivierte Terrorismus hat auch im vergangenen Jahr zahlreiche Opfer hinweggerafft, vor allem in Asien und Afrika, und daher müssen die religiösen Verantwortungsträger, wie ich in Assisi in Erinnerung gerufen habe, mit Nachdruck und Entschiedenheit wiederholen: „Dies ist nicht das wahre Wesen der Religion. Es ist ihre Entstellung und trägt zu ihrer Zerstörung bei.“[4] Religion darf nicht als Vorwand benutzt werden, um die Normen der Gerechtigkeit und des Rechts um des angestrebten „Gutes“ willen beiseite zu schieben. In dieser Hinsicht erinnere ich mit Stolz daran, wie ich es in meinem Heimatland getan habe, dass für die Väter des deutschen Grundgesetzes das christliche Menschenbild die wahre Inspirationsquelle war, wie es das im übrigen auch für die Gründerväter des geeinten Europas war. Ich möchte auch einige ermutigende Zeichen im Bereich der Religionsfreiheit erwähnen. Ich beziehe mich auf die Gesetzesänderung, durch welche die öffentliche Rechtspersönlichkeit der religiösen Minderheiten in Georgien anerkannt wurde; ich denke auch an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zugunsten der Anbringung von Kreuzen in italienischen Schulzimmern.
Italien
Und gerade zu Italien möchte ich zum Abschluss des 150jährigen Jubiläums seiner politischen Einigung einen besonderen Gedanken sagen. Die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem italienischen Staat haben nach der Einigung schwierige Augenblicke erlebt. Im Lauf der Zeit jedoch haben die Eintracht und der gegenseitige Wille zur Zusammenarbeit obsiegt, um – jeder in seinem eigenen Bereich – das Gemeinwohl zu fördern. Ich hoffe darauf, dass Italien weiterhin eine ausgewogene Beziehung zwischen Kirche und Staat fördert und so ein Vorbild sein möge, auf das sich andere Nationen mit Respekt und Interesse beziehen können.
Afrika
Es ist von grundlegender Wichtigkeit, dass auf dem afrikanischen Kontinent, den ich kürzlich anläßlich meiner Reise nach Benin erneut besucht habe, die Zusammenarbeit zwischen den christlichen Gemeinschaften und den Regierungen dazu beiträgt, einen Weg der Gerechtigkeit, des Friedens und der Versöhnung zu beschreiten, wo die Mitglieder aller Ethnien und Religionen geachtet werden. Es ist schmerzlich festzustellen, dass in verschiedenen Ländern dieses Kontinents dieses Ziel noch in weiter Ferne liegt. Ich denke insbesondere an das Wiederausbrechen der Gewalt in Nigeria, woran die Anschläge auf mehrere Kirchen in der Weihnachtszeit erinnert haben, an die Folgen des Bürgerkrieges in der Elfenbeinküste, an die anhaltende Instabilität in der Region der großen Seen und an die humanitäre Notlage in den Ländern am Horn von Afrika. Einmal mehr fordere ich die internationale Gemeinschaft dazu auf, rasch zu helfen, eine Lösung für die Krise zu finden, die seit Jahren schon in Somalia andauert.
Achtung der Schöpfung
Schließlich liegt es mir am Herzen zu unterstreichen, dass eine richtig verstandene Erziehung die Achtung der Schöpfung nur unterstützen kann. Unmöglich kann man die schweren Naturkatastrophen, die 2011 verschiedene Regionen Südostasiens getroffen haben, und die ökologischen Katastrophen wie die des Atomkraftwerks von Fukushima in Japan vergessen. Die Bewahrung der Umwelt, die Synergie zwischen dem Kampf gegen die Armut und dem Kampf gegen den Klimawandel stellen wichtige Bereiche für die Förderung der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen dar. Deshalb hoffe ich darauf, dass die internationale Gemeinschaft – im Anschluss an die XVII. Sitzung der Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention, die vor kurzem in Durban zu Ende gegangen ist – sich als echte „Familie der Nationen“ und daher mit einem hohen Sinn für Solidarität und Verantwortungsgefühl gegenüber den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen auf die UN-Konferenz über die nachhaltige Entwicklung („Rio+20“) vorbereitet.
Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren!
Die Geburt des Friedensfürsten lehrt uns, dass das Leben nicht im Nichts endet, dass seine Bestimmung nicht die Verweslichkeit ist, sondern die Unsterblichkeit. Christus ist gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben (vgl. Joh 10,10). „Erst wenn Zukunft als positive Realität gewiss ist, wird auch die Gegenwart lebbar.“[5] Beseelt von der Gewissheit des Glaubens wird der Heilige Stuhl weiterhin seinen Beitrag für die internationalen Gemeinschaft leisten, gemäß der zweifachen Absicht, die das Zweite Vatikanische Konzil – dessen 50. Jahrestag in dieses Jahr fällt – klar beschrieben hat: die hohe Berufung des Menschen und das Vorhandensein eines göttlichen Samens in ihm zu verkünden sowie der Menschheit die aufrichtige Mitarbeit zur Errichtung jener brüderlichen Gemeinschaft aller anzubieten, die dieser Berufung entspricht.[6] In diesem Sinn bringe ich Ihnen, Ihren Familienangehörigen und Ihren Mitarbeitern erneut meine herzlichsten Wünsche für das neue Jahr zum Ausdruck.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
[1] Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Dilecti amici, 31. März 1985, 15.
[2] Ebd., 1.
[3] Predigt in der heiligen Messe anlässlich des Nationalen Familientags der kroatischen Katholiken, Zagreb, 5. Juni 2011.
[4] Ansprache zum Tag der Reflexion, des Dialogs und des Gebets für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt, Assisi, 27. Oktober 2011.
[5] Enzyklika Spe salvi, Nr. 2.
[6] Vgl. Gaudium et spes, 3.9.1.2012 15:07:41
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