Am 12. Juli 1978 trat der CDU- Bundestagsabgeordnete Dr. Herbert Gruhl aus der CDU aus und gründete am 13. Juli 1978 die „Grüne Aktion Zukunft GAZ“ , Deutschlands erste bundesweite Umweltpartei. Wahrscheinlich ist die folgende Bundestagsrede die erste Rede Herbert Gruhls im Deutschen Bundestag nach seinem Parteiaustritt. Es dürfte damit auch die erste Rede eines Vertreters einer grün- ökologischen Partei im Bundestag sein. Bisher war er ein Abweichler innerhalb der CDU, der sich durch gute Wahlergebnisse in seinem Direktwahlkreis diese Positionen leisten konnte. Nachdem Gruhl 1980 zusammen mit anderen Grünen Gruppen in einem Wahlbündnis 3,2% zur Europawahl schaffte, bekamen in der folgend gegründeten Partei „Die Grünen“ Randgruppen derart an Einfluss, dass Gruhl mit einem Drittel der Mitglieder die Grünen verließ. Viele sammelten sich neu in der Ökologisch Demokratischen Partei (ÖDP). 1989 legte er den Bundesvorsitz der ÖDP nieder, u.a. weil ihm der Rechtsabgrenzungsbeschluss nicht gefiel. Die Gründe Herbert Gruhls kann ich in diesem Punkt auch nicht nachvollziehen. Trotzdem bleibt Herbert Gruhl eine wichtige Person in der Geschichte der Umweltbewegung, die die Gründung grün- ökologischer Parteien forcierte, Bestseller schrieb (1975: Ein Planet wird geplündert – die Schreckensbilanz unserer Politik) und die bis heute gültige Aussagen in das ÖDP- Programm trug, wie die Idee, mit Steuern die Wirtschaft zu steuern und klaren Richtlinien für eine Trennung von Politik und Wirtschaft. Die Flickaffäre und Bestrebungen in der CDU, durch neue Gesetze rückwirkend eine Absolution zu erteilen, gehörten zum Anlass des Austrittes aus der CDU, weil Gruhl in so einer Partei nicht Mitglied sein wollte. Danach war Herbert Gruhl von 1978 bis 1980 die erste echt- ökologische Stimme im Bundestag. Nach 1980 dauerte es noch 3 Jahre, bis es wieder Grüne im Bundestag gab, allerdings ohne den wertkonservativen Flügel. So konnten die Grünen zwar die SPD zurückdrängen, der ´schwarze Block´ unter Helmut Kohl wurde mit vielen Grünenforderungen aber eher abgeschreckt und zusammengeschweißt. Somit mussten die Grünen noch bis 1998 warten, bis die auch im Bundestag an die Fleischtöpfe der Macht gelangen konnten. Leider haben Sie sich dabei nie an die Grundforderungen Herbert Gruhls erinnert, die vor jeder Koalition auf Bundesebene erfüllt sein müssten: Politiker raus aus privaten Aufsichtsräten und ein Verbot von Konzern- und Verbandsspenden an Parteien und Politiker. Die folgende rede Gruhls habe ich von Papieren abgetippt, die die ÖDP früher verteilt hat. Redaktionell wurden nur einige Vornamen, Titel oder Funktionen, Orte oder Bedeutungen von Abkürzungen ergänzt, um Hintergrundrecherchen zu erleichtern.
Deutscher Bundestag, 8 Wahlperiode, 125. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 14.Dezember 1978
Herbert Gruhl (Grüne Aktion Zukunft, fraktionslos)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute kann niemand bestreiten, dass die Entscheidung für die Kernenergie seinerzeit in völliger Ahnungslosigkeit über die Folgen gefallen ist. Das Projekt Gorleben ist ein sehr später und noch in den allerersten Anfängen steckender Versuch, die Folgen zu bewältigen, wobei der Ausgang noch völlig offen ist.
Die Entscheidung für den schnellen Brüter (in Kalkar) ist nun ein weiterer folgenschwerer Schritt in die Plutoniumwirtschaft. Diese Technik bedeutet quantitativ und qualitativ einen Sprung in weitere neue Bereiche mit noch unbekannten Auswirkungen.
Professor Smith von der Universität Groningen erklärte am 19. Mai 1977:
Die Plutoniummenge in einem Brüter ist zehnmal so groß, wie die eines Leichtwasserreaktors, 5 Tonnen Plutonium auf 1000 Megawatt. Der frische Brennstoff eines großen Brüters genügt für hundert Kernwaffen in der Größe der Hiroshima- Bombe. Nun ist in einem Brüter, im Gegensatz zu einem Leichtwasserreaktor, sehr wohl eine nukleare Explosion möglich. Die Explosionsenergie kann zwischen 2.700 und 220.000 Megajoule betragen; das entspricht 55 Tonnen TNT.
Sir Brian Flowers, der Vorsitzende der Royal Commission erklärte im November 1977:
Der Wissenschaftler Webb rechnet mit der Möglichkeit, dass 100.000 km² Land evakuiert werden müssten. Sie hätten dann am eigenen Leib verspürt, was „unentrinnbares Restrisiko“ heißt, wie das das Bundesverfassungsgericht in seiner juristischen Sprache bezeichnet. Es könnte sein, dass die Betroffenen dann nicht mehr entrinnen können.
Der vorhin zitierte Professor Smith legte dar,
Die Steuerung eines schnellen Brüters ist wegen des schnellen Neutronenflusses unvergleichlich risikoreich. Eine höchst komplizierte Sicherheitstechnik ist notwendig, weil der zeitliche Spielraum für die Regulierung nach Sekunden bemessen ist; beim Leichtwasserreaktor stehen einem immerhin noch mindestens 30 Sekunden zur Verfügung.
Ich kann hier die unzähligen technischen Risiken nicht in 15 Minuten abhandeln. Welche Risiken das flüssige Natrium mit sich bringt, ist allgemein bekannt. Keiner der Fachleute bestreitet die Gefährlichkeit der unvermeidlichen Natriumdampfblasen, unter vielem anderen. Der Brüter hat eben kein „inhärent stabiles Verhalten“, wie die Interessenvertreter behaupten. Darum dürften Versuche mit der Brütertechnik nur in menschenleeren Gebieten stattfinden, die wir in Europa gar nicht haben. Nicht einmal Gebiete an der französischen Atlantikküste oder in Schottland erscheinen dafür geeignet. Auf dem dichtbesiedelten deutschen Boden solche Großexperimente über Jahrzehnte zu veranstalten, kann kein Parlament verantworten.
Die riesigen Schwierigkeiten, die alle Länder mit dem Schnellen Brüter haben, führten zu einer Kostenexplosion, die auch den Preis des Brüters in Kalkar auf mindestens 4 Milliarden DM hochtreiben wird. Die amerikanische Ford- Studie zieht in Zweifel, dass der Brüter bei gering steigenden Stromverbrauch überhaupt konkurrenzfähig sein kann. Denn die Voraussetzung wäre, dass er wirklich ausreichend brütet, dass die Wiederaufbereitung sicher beherrscht wird und dass die Sicherheitsfragen befriedigend gelöst werden können. Aber diese Probleme sind eben noch offen, auch nach Aussage der Fordstudie.
Auf ein weiteres ungelöstes Problem will ich noch eingehen, dass nämlich die abgebrannten Brennelemente jedes Brüters eine ganz andere spezielle Wiederaufbereitungstechnik erfordern. Da die Radioaktivität mehr als doppelt so hoch ist, ist die in Gorleben geplante Aufbereitung der Leichtwasserbrennelemente die übrigens auch nicht gelöst ist, dafür unbrauchbar. Für den schnellen Brüter wäre also ein zweites Gorleben nötig. Aber eine solche Konzeption wird uns wohl erst dann hier auf den Tisch gelegt werden, wenn auch bereits wieder unwiderrufbare Fakten geschaffen sind.
Wer auf diesem Gebiet bestimmt, ist doch nicht die Regierung oder das Parlament. Hier bestimmt die Atomindustrie den Kurs. Kurt Rudzinski schrieb am 29.November 1978 in der Frankfurther Allgemeinen Zeitung (FAZ) – ich zitiere – sehr richtig:
Von der Reaktorindustruie ist es nicht anderes zu erwarten, dass sie, gleichwohl ob aus Überzeugung oder Opportunität, ihre Geschäftsunteressen wahrnimmt. Bemerkenswert ist, dass die dabei eigentlich treibende Kraft in der Brüter Entwicklung nicht etwa die Industrie selbst ist oder das Forschungszentrum Karlsruhe, sondern die Rheinisch Westfälische Elektrizitätswerke AG RWE mit Professor Heinrich Mandel als eigentliche Promoter ist.
Der nordrhein westfälische Wirtschaftsminister Horst Ludwig Riemer (FDP) ging noch weiter. Er warf der interessierten Wirtschaft eine „klare Täuschung“ vor, da sie schon Pläne für einen 1.300- Megawatt- Brüter fertig habe. Wörtlich sagte er:
Höchst bemerkenswert ist es auch, dass die Elektrizitätsunternehmen geradezu erpresserische Methoden anwenden. So heißt es doch in er Drucksache 8/2372 seitens der SPD- FDP- Bundesregierung:
Ich zitiere weiter:
Damit bestätigt die SPD- FDP- Bundesregierung amtlich, dass sie unverhohlen von der beteiligten Industrie unter Druck gesetzt wird.
Hinzu kommt in der ganzen Atomwirtschaft die persönliche Verfilzung von Politikern und der Wirtschaft. Allein im Lande Hessen stellt sich dies – laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ“ vom 6. Oktober 1978 – wie folgt dar:
Dr. Alfred Dregger (CDU) ist oder war über den Vorstand der Überlandwerke Fulda der Preußenelektra verbunden.
Der hessische Finanzminister Heribert Reitz (SPD) ist oder war im Aufsichtsrat eben dieser PREAG – wie auch Rudi Arndt (SPD).
Im Beirat der PREAG sitzen oder saßen der hessische Minister für Wirtschaft Heinz Karry (FDP) und die ehemalige Frankfurter Bürgermeisterin Rudolf Sölch (SPD). Besonders aufschlussreich ist, dass Professor Wagner, der seinerzeit als Ministerialrat im hessischen Ministerium für Wirtschaft und Technik als Abteilungsleiter für die Genehmigung, Prüfung und Überwachung des Kraftwerkes Biblis zuständig war, gleichzeitig im Beirat der Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) saß. Es wundert sich daraufhin niemand mehr, dass der Leiter des RWE- Atomkraftwerks Biblis vor der Landtagswahl in Hessen verkünden konnte, dass der geplante Block C nach den Landtagswahlen genehmigt werde, ganz gleich, welche Partei die Wahlen gewinne.
Professor Scheuten hat bereits vor zwei Jahren erklärt, dass die Entscheidung, welche Art von Kraftwerken gebaut werde, nicht von Parlamenten, sondern von Experten getroffen werde. Von Experten – so stellt er wörtlich fest - „die innerhalb ihrer Unternehmen Geld verdienen müssen“. Dies sagt wohl alles.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das müssen alle!)
Hier geht es um Entscheidungen über viele Generationen. Für solche Entscheidungen sind die Vertreter des Volkes verantwortlich und wenn sie die Verantwortung nicht tragen wollen, dann müssen Sie wie in Österreich das Volk befragen. Das Volk hat dort eine deutliche Antwort erteilt. Wollen wir nun auch erst Milliarden ausgeben und nachher entscheiden, ob wir wie in Zwentendorf so auch in Kalkar eine Ruine stehenlassen? Die Atomindustrie wird keineswegs die Verantwortung tragen.
Das beweist die Erklärung des Geschäftsführers des Atomforums Peter Haug zur Frage des Unfalls in Brunsbüttel. Während früher von dieser Seite immer behauptet wurde, diese Technik sei so sicher, dass es überhaupt keinen Unfall geben könne, erklärt er nun nach dem Unfall von Brunsbüttel, dass die Nutzung der Kernenergie zweifellos Risiken in sich berge. Ungeklärt sei bis heute, welches Maß an Risiken die Gesellschaft akzeptieren wolle oder müsse. Auch das Problem der Sabotage gegen Kernkraftwerke hält Haug für gegeben. Er sagt außerdem, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden sei, die hochentwickelten Sicherheitstechniken könnten betriebstechnische Zwischenfälle verhindern, wie sie in jeder industriellen Anlage laufend vorkommen. Das sei jedoch ein Irrtum, vielmehr sei es lediglich ihre Aufgabe, bei derartigen Vorfällen die Allgemeinheit vor negativen Folgen zu schützen. Nun frage ich aber: Wie will er nach dem Vorfall die Allgemeinheit vor den Folgewirkungen schützen? Das dürfte dann kaum möglich sein.
Der Deutsche Bundestag hat sich viel zu spät mit den immer noch unabsehbaren Folgewirkungen der Plutoniumwirtschaft befasst, viel zu spät, als dass er die Verantwortung nun immer noch anderen überlassen dürfte, von denen ich einige genannt habe. Wir müssen uns jetzt die Zeit lassen, das Programm – besonders des schnellen Brüters – für längere zeit auszusetzen, um unabsehbaren Schaden zu vermeiden, dessen Höhe und Eintrittswahrscheinlichkeit wir überhaupt nicht abzuschätzen vermögen. Kein Bürger draußen im Lande wird Verständnis dafür haben, in welcher Weise heute hier parteipolitische Taktik betrieben wird, und zwar mit Problemen, die Lebensfragen des ganzen Volkes betreffen.
Die vorliegenden Anträge sind nicht geeignet, die berechtigten Befürchtungen von Millionen Menschen zu zerstreuen. Mir bleibt nur übrig dagegen zu stimmen, auch wenn ich wieder mal alleinstehen sollte.
Beifall des Abgeordneten Dr. Rolf Meinecke (SPD) aus Hamburg (ob zustimmend zum Inhalt der Rede oder in Bezug darauf das Gruhl im Bundestag alleine steht, wird leider nicht deutlich)
Deutscher Bundestag, 8 Wahlperiode, 125. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 14.Dezember 1978
Herbert Gruhl (Grüne Aktion Zukunft, fraktionslos)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute kann niemand bestreiten, dass die Entscheidung für die Kernenergie seinerzeit in völliger Ahnungslosigkeit über die Folgen gefallen ist. Das Projekt Gorleben ist ein sehr später und noch in den allerersten Anfängen steckender Versuch, die Folgen zu bewältigen, wobei der Ausgang noch völlig offen ist.
Die Entscheidung für den schnellen Brüter (in Kalkar) ist nun ein weiterer folgenschwerer Schritt in die Plutoniumwirtschaft. Diese Technik bedeutet quantitativ und qualitativ einen Sprung in weitere neue Bereiche mit noch unbekannten Auswirkungen.
Professor Smith von der Universität Groningen erklärte am 19. Mai 1977:
„Was auch immer die Motive für den Bau des Brüters sein mögen –
ob für 1000 Jahre oder die Gegenwart – der Brüter ist irrational.“
Die Plutoniummenge in einem Brüter ist zehnmal so groß, wie die eines Leichtwasserreaktors, 5 Tonnen Plutonium auf 1000 Megawatt. Der frische Brennstoff eines großen Brüters genügt für hundert Kernwaffen in der Größe der Hiroshima- Bombe. Nun ist in einem Brüter, im Gegensatz zu einem Leichtwasserreaktor, sehr wohl eine nukleare Explosion möglich. Die Explosionsenergie kann zwischen 2.700 und 220.000 Megajoule betragen; das entspricht 55 Tonnen TNT.
Sir Brian Flowers, der Vorsitzende der Royal Commission erklärte im November 1977:
Ein möglicher Brüterunfall hat eine
zehn- bis hundert mal höhere Schadenswirkung,
als ein Leichtwasserreaktor- Unfall.
Der Wissenschaftler Webb rechnet mit der Möglichkeit, dass 100.000 km² Land evakuiert werden müssten. Sie hätten dann am eigenen Leib verspürt, was „unentrinnbares Restrisiko“ heißt, wie das das Bundesverfassungsgericht in seiner juristischen Sprache bezeichnet. Es könnte sein, dass die Betroffenen dann nicht mehr entrinnen können.
Der vorhin zitierte Professor Smith legte dar,
dass der Unterschied zwischen Bombe und einen Brüter 0,2% beträgt. Das ist der Unterschied zwischen verzögert kritisch und prompt kritisch . In jeder normalen Technologie sind Sichehrheitsfaktoren von 50 bis 500% üblich, es ist a priori unglaublich, dass man mit einem Sicherheitsfaktor von 0,2% arbeitet.
Die Steuerung eines schnellen Brüters ist wegen des schnellen Neutronenflusses unvergleichlich risikoreich. Eine höchst komplizierte Sicherheitstechnik ist notwendig, weil der zeitliche Spielraum für die Regulierung nach Sekunden bemessen ist; beim Leichtwasserreaktor stehen einem immerhin noch mindestens 30 Sekunden zur Verfügung.
Ich kann hier die unzähligen technischen Risiken nicht in 15 Minuten abhandeln. Welche Risiken das flüssige Natrium mit sich bringt, ist allgemein bekannt. Keiner der Fachleute bestreitet die Gefährlichkeit der unvermeidlichen Natriumdampfblasen, unter vielem anderen. Der Brüter hat eben kein „inhärent stabiles Verhalten“, wie die Interessenvertreter behaupten. Darum dürften Versuche mit der Brütertechnik nur in menschenleeren Gebieten stattfinden, die wir in Europa gar nicht haben. Nicht einmal Gebiete an der französischen Atlantikküste oder in Schottland erscheinen dafür geeignet. Auf dem dichtbesiedelten deutschen Boden solche Großexperimente über Jahrzehnte zu veranstalten, kann kein Parlament verantworten.
Die riesigen Schwierigkeiten, die alle Länder mit dem Schnellen Brüter haben, führten zu einer Kostenexplosion, die auch den Preis des Brüters in Kalkar auf mindestens 4 Milliarden DM hochtreiben wird. Die amerikanische Ford- Studie zieht in Zweifel, dass der Brüter bei gering steigenden Stromverbrauch überhaupt konkurrenzfähig sein kann. Denn die Voraussetzung wäre, dass er wirklich ausreichend brütet, dass die Wiederaufbereitung sicher beherrscht wird und dass die Sicherheitsfragen befriedigend gelöst werden können. Aber diese Probleme sind eben noch offen, auch nach Aussage der Fordstudie.
Auf ein weiteres ungelöstes Problem will ich noch eingehen, dass nämlich die abgebrannten Brennelemente jedes Brüters eine ganz andere spezielle Wiederaufbereitungstechnik erfordern. Da die Radioaktivität mehr als doppelt so hoch ist, ist die in Gorleben geplante Aufbereitung der Leichtwasserbrennelemente die übrigens auch nicht gelöst ist, dafür unbrauchbar. Für den schnellen Brüter wäre also ein zweites Gorleben nötig. Aber eine solche Konzeption wird uns wohl erst dann hier auf den Tisch gelegt werden, wenn auch bereits wieder unwiderrufbare Fakten geschaffen sind.
Wer auf diesem Gebiet bestimmt, ist doch nicht die Regierung oder das Parlament. Hier bestimmt die Atomindustrie den Kurs. Kurt Rudzinski schrieb am 29.November 1978 in der Frankfurther Allgemeinen Zeitung (FAZ) – ich zitiere – sehr richtig:
Von der Reaktorindustruie ist es nicht anderes zu erwarten, dass sie, gleichwohl ob aus Überzeugung oder Opportunität, ihre Geschäftsunteressen wahrnimmt. Bemerkenswert ist, dass die dabei eigentlich treibende Kraft in der Brüter Entwicklung nicht etwa die Industrie selbst ist oder das Forschungszentrum Karlsruhe, sondern die Rheinisch Westfälische Elektrizitätswerke AG RWE mit Professor Heinrich Mandel als eigentliche Promoter ist.
Der nordrhein westfälische Wirtschaftsminister Horst Ludwig Riemer (FDP) ging noch weiter. Er warf der interessierten Wirtschaft eine „klare Täuschung“ vor, da sie schon Pläne für einen 1.300- Megawatt- Brüter fertig habe. Wörtlich sagte er:
Wenn so etwas schon in den Schubladen liegt, dann gibt es keine Versuchsvorbehalte mehr,
sondern ist das ein Versuch uns für dumm zu verkaufen. (Vereinzelter Beifall von der FDP)
Höchst bemerkenswert ist es auch, dass die Elektrizitätsunternehmen geradezu erpresserische Methoden anwenden. So heißt es doch in er Drucksache 8/2372 seitens der SPD- FDP- Bundesregierung:
Die am HTR (Hochtemperaturreaktor) interessierte EVU- Gruppe (Elektrizitätsversorgungsunternehmen) hat dem BMFT (Bundesminister für Forschung und Technologie – Volker Hauff, SPD) gegenüber u.a. die Baufortsetzung des SNR 300 als unabdingbare Voraussetzung für weiteres Engagement in der HTR- Entwicklung genannt.
Ich zitiere weiter:
Ein Scheitern des SNR- 300 Projektes würde zur baldigen Folge haben, dass die EVU eine Projektgesellschaft, als Trägerin eines eigenfinanzierten Planungsauftrages für die HHT- Demonstrationsanlage, nicht gründen würde. Ohne diesen Planungsauftrag, der in einen Bauauftrag münden soll, hätte die deutsche HTR- Industrie nach Fertigstellung des THTR- 300 keinen Anschlussauftrag zu erwarten.
Damit bestätigt die SPD- FDP- Bundesregierung amtlich, dass sie unverhohlen von der beteiligten Industrie unter Druck gesetzt wird.
Hinzu kommt in der ganzen Atomwirtschaft die persönliche Verfilzung von Politikern und der Wirtschaft. Allein im Lande Hessen stellt sich dies – laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ“ vom 6. Oktober 1978 – wie folgt dar:
Dr. Alfred Dregger (CDU) ist oder war über den Vorstand der Überlandwerke Fulda der Preußenelektra verbunden.
Der hessische Finanzminister Heribert Reitz (SPD) ist oder war im Aufsichtsrat eben dieser PREAG – wie auch Rudi Arndt (SPD).
Im Beirat der PREAG sitzen oder saßen der hessische Minister für Wirtschaft Heinz Karry (FDP) und die ehemalige Frankfurter Bürgermeisterin Rudolf Sölch (SPD). Besonders aufschlussreich ist, dass Professor Wagner, der seinerzeit als Ministerialrat im hessischen Ministerium für Wirtschaft und Technik als Abteilungsleiter für die Genehmigung, Prüfung und Überwachung des Kraftwerkes Biblis zuständig war, gleichzeitig im Beirat der Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) saß. Es wundert sich daraufhin niemand mehr, dass der Leiter des RWE- Atomkraftwerks Biblis vor der Landtagswahl in Hessen verkünden konnte, dass der geplante Block C nach den Landtagswahlen genehmigt werde, ganz gleich, welche Partei die Wahlen gewinne.
Professor Scheuten hat bereits vor zwei Jahren erklärt, dass die Entscheidung, welche Art von Kraftwerken gebaut werde, nicht von Parlamenten, sondern von Experten getroffen werde. Von Experten – so stellt er wörtlich fest - „die innerhalb ihrer Unternehmen Geld verdienen müssen“. Dies sagt wohl alles.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das müssen alle!)
Hier geht es um Entscheidungen über viele Generationen. Für solche Entscheidungen sind die Vertreter des Volkes verantwortlich und wenn sie die Verantwortung nicht tragen wollen, dann müssen Sie wie in Österreich das Volk befragen. Das Volk hat dort eine deutliche Antwort erteilt. Wollen wir nun auch erst Milliarden ausgeben und nachher entscheiden, ob wir wie in Zwentendorf so auch in Kalkar eine Ruine stehenlassen? Die Atomindustrie wird keineswegs die Verantwortung tragen.
Das beweist die Erklärung des Geschäftsführers des Atomforums Peter Haug zur Frage des Unfalls in Brunsbüttel. Während früher von dieser Seite immer behauptet wurde, diese Technik sei so sicher, dass es überhaupt keinen Unfall geben könne, erklärt er nun nach dem Unfall von Brunsbüttel, dass die Nutzung der Kernenergie zweifellos Risiken in sich berge. Ungeklärt sei bis heute, welches Maß an Risiken die Gesellschaft akzeptieren wolle oder müsse. Auch das Problem der Sabotage gegen Kernkraftwerke hält Haug für gegeben. Er sagt außerdem, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden sei, die hochentwickelten Sicherheitstechniken könnten betriebstechnische Zwischenfälle verhindern, wie sie in jeder industriellen Anlage laufend vorkommen. Das sei jedoch ein Irrtum, vielmehr sei es lediglich ihre Aufgabe, bei derartigen Vorfällen die Allgemeinheit vor negativen Folgen zu schützen. Nun frage ich aber: Wie will er nach dem Vorfall die Allgemeinheit vor den Folgewirkungen schützen? Das dürfte dann kaum möglich sein.
Der Deutsche Bundestag hat sich viel zu spät mit den immer noch unabsehbaren Folgewirkungen der Plutoniumwirtschaft befasst, viel zu spät, als dass er die Verantwortung nun immer noch anderen überlassen dürfte, von denen ich einige genannt habe. Wir müssen uns jetzt die Zeit lassen, das Programm – besonders des schnellen Brüters – für längere zeit auszusetzen, um unabsehbaren Schaden zu vermeiden, dessen Höhe und Eintrittswahrscheinlichkeit wir überhaupt nicht abzuschätzen vermögen. Kein Bürger draußen im Lande wird Verständnis dafür haben, in welcher Weise heute hier parteipolitische Taktik betrieben wird, und zwar mit Problemen, die Lebensfragen des ganzen Volkes betreffen.
Die vorliegenden Anträge sind nicht geeignet, die berechtigten Befürchtungen von Millionen Menschen zu zerstreuen. Mir bleibt nur übrig dagegen zu stimmen, auch wenn ich wieder mal alleinstehen sollte.
Beifall des Abgeordneten Dr. Rolf Meinecke (SPD) aus Hamburg (ob zustimmend zum Inhalt der Rede oder in Bezug darauf das Gruhl im Bundestag alleine steht, wird leider nicht deutlich)
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