Stuttgart, 18. Dezember 2011(Wenn Politiker genannt werden, nennt der Blog- Admin den Link nach Abgeordnetenwatch.de, sofern vorhanden. Schauen Sie nach, was den Politikern schon gefragt wurde und ob die noch was fragen können - rechte Maustaste ist empfehlenswert für Link in neuem Fenster oder Registerkarte - Link zu Petition am Schluss des Beitrages! Bitte prüfen Sie, ob ihre regionalen MdB (bundesweit) oder MdL (im Ländle) befragt wurden.)
STUTTGARTER ERKLÄRUNG
zur Fortführung des Widerstandes gegen Stuttgart 21 von Bürgerinnen und Bürgern der Protestbewegung aus Anlass des Referendums vom 27.11.2011
Bei der Abstimmung in Baden-Württemberg über das S21-Kündigungsgesetz der Landesregierung votierte die Mehrheit gegen eine Kündigung der Landesbeteiligung. Das ist eine Tatsache, aber noch lange kein Grund, uns Bürgern gegen Stuttgart 21 das Recht auf weiteren Widerstand gegen das Projekt abzusprechen. Weder hat das Wählervotum das „heilige Grundrecht“ (Heiner Geißler), unser Demonstrationsrecht außer Kraft gesetzt, noch haben sich in der Nacht auf den 28.11. alle bekannten Risiken und Nebenwirkungen des Projekts Stuttgart 21 in Luft aufgelöst.
Wir werden also unsere Mahnwachen und Montagsdemonstrationen „penetrant vernünftig“ beibehalten und weiterhin kritisch auf die Missstände hinweisen – auch wenn wir als „radikale Restminderheit“tituliert werden oder Ministerpräsident Kretschmann uns gar als „Fanatikern“ jegliches Verständnis entziehen will. Weshalb, ist sein Geheimnis. Denn Projektbetreiber und Politik, Medien und Mitbürger dürfen uns zwar als störend und lästig darstellen, keinesfalls aber als „nicht legitim“. Doch wollen sie diesen wesentlichen Unterschied wohl nicht begreifen, wenn sie unserem friedlichen, gewaltfreien Protest die Legitimation absprechen und uns permanent auffordern, als gute Demokraten „spätestens jetzt“ in eine „kritische Begleitung“ zu wechseln. – Freilich, dieses Spiel kennen wir schon.
Wie nach „Schlichtung“ und Stresstestpräsentation drehen uns Politik und Medien einen Strick daraus, dass wir uns überhaupt auf das Verfahren der „Volksabstimmung“ eingelassen haben. Einmal mehr ist die frühzeitig und mehrfach geäußerte Kritik am Verfahren selbst unbeachtet geblieben, dieses Mal die Kritik am Verfahren des Referendums, die wir lange vor dem 27.11.2011 immer wieder angebracht hatten.
Wie gehabt ließen Politik und Medien unsere Hinweise auf Risiken & Nebenwirkungen verpuffen. Erneut wollen sie uns als „schlechte Verlierer“ endgültig vom Platz schicken. Aber wieder einmal – vergebens.
Denn wir stehen immer noch dort, wo wir seit dem Abriss des Nordflügels stehen, weil auch der 27.11. das Projekt Stuttgart 21 in der Sache nicht verbessert hat. Daher machen wir das, was wir seit Jahren machen: Wir leisten Widerstand, und wir schauen als bürgerschaftliche Opposition der Regierung genau auf die Finger. Wir haben die Ausgangs- und Rahmenbedingungen des Referendums gründlich untersucht und bewertet und kommen zu folgendem Urteil: Die von der Landesregierung so beschworene Mitsprache des Souveräns entpuppt sich als eine inszenierte, scheindemokratische Farce.
Wir begründen unser Urteil aus drei verschiedenen Perspektiven:
1. „Das Volk hat legitimiert“ – aber wie?
2. Die Regelungen im Koalitionsvertrag zum Referendum: Machtdemonstration statt Sachinformation
1. „Das Volk hat legitimiert“ – aber wie?
Vorab: Eine Volksabstimmung wird vom Volk angestoßen; eine Fragestellung, die von der Regierung den Wählern zur Entscheidung vorgelegt wird, heißt Referendum. Die grün-rote Landesregierung hat für die Klärung der Frage, ob das Land den Finanzierungsanteil am Projekt Stuttgart 21 kündigen soll, zwar ein Referendum veranlasst, dieses aber unter der griffigeren Bezeichnung Volksabstimmung umgesetzt.
Das Abstimmungsergebnis ist bekannt. Landauf, landab heißt es nun, nach der Zustimmung durch die politischen Gremien habe sich jetzt auch „das Volk“ mehrheitlich für das Projekt Stuttgart 21 ausgesprochen. Dass mit dieser Interpretation des Referendums der Bau des Projektes legitimiert werden soll, lehnen wir ab. Weshalb?
Ein kurzer Blick auf die Historie zeigt auf: Eine Volksabstimmung war im Sommer 2010 von der SPD ins Spiel gebracht worden, um eine drohende Parteispaltung abzuwenden, ohne S21 zu gefährden. Die SPD wusste, dass die Landesverfassung ein hohes Zustimmungsquorum vorsieht. Sie wusste, dass die Abstimmung nur die Finanzierung betreffen konnte (also einen Teilaspekt des Projektes). Sie wusste, dass ganz Baden-Württemberg über eine Stuttgarter Angelegenheit abstimmen konnte. Und die SPD wusste, dass diese Abstimmung aus den genannten Gründen keine Chance haben würde, gewonnen zu werden.
Die Landesregierung hat somit die „Volksabstimmung“ nicht durchgeführt, um unvoreingenommen Volkes Stimme zu hören. So wenig wie die verantwortlichen Politiker die bereits „von unten“ – von den Stuttgarter Bürgern 1997 und 2007 und 2011 – angestrebten Verfahren eines Bürgerentscheids oder einer Bürgerbefragung auf kommunaler Ebene unterstützten. Natürlich nicht: Denn die Abstimmung durch „das Volk“ diente vor allem dazu, den Streit der in dem Punkt „Stuttgart 21“ uneinigen Landesregierung zu befrieden, und sie sollte den von Ministerpräsident und Stellvertreter (1) offen bekundeten Zweck erfüllen: Danach sollte „Schweigen herrschen“ (Nils Schmid), und es sollte ein „Knopf drangemacht“ werden (Winfried Kretschmann).
Also einigten sich die Koalitionspartner in ihrem Vertrag auf das „von oben“ verordnete und zur Volksabstimmung umetikettierte Referendum. Einig waren sie sich auch darin, vorher lieber nicht prüfen zu lassen, ob der Finanzierungsvertrag für das Projekt Stuttgart 21 überhaupt rechts- bzw. verfassungskonform ist. Mit anderen Worten: Die Landesregierung hat willentlich und wissentlich in Kauf genommen, mittels eines direkten Wählervotums die Verfassung auszuhebeln.
Warum hat sich das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 auf diese scheindemokratische Farce eingelassen?
Weil es anscheinend darauf vertraut hat, dass die grün-rote Landesregierung die in ihrem Koalitionsvertrag vom 27. April 2011 getroffenen Vereinbarungen als Vorbedingungen erfüllen und im Vorfeld des Referendums den Wählern alle wichtigen Tatbestände und Fragen darlegen würde. Eine solche offensive und faktenbasierende Information ist nicht geschehen, im Gegenteil: Fakten, die zur Klärung dieser Fragen ans Licht kamen, wurden ignoriert und nicht aufgegriffen.
2. Die Regelungen im Koalitionsvertrag zum Referendum
Zu den im Koalitionsvertrag vereinbarten Absichten und angestrebten Maßnahmen für das Referendum zählen:
a. Bau- und Vergabestopp bis zum Referendum
b. Vollständige Transparenz über Prämissen und Ergebnisse des Stresstests
c. Vollständige Kostentransparenz hinsichtlich der Bau- und der Ausstiegskosten
d. Vorliegen vollständiger Planfeststellungsanträge für alle noch nicht genehmigten Bauabschnitte
e. Gemeinsames Bemühen zur Abschaffung des Zustimmungsquorums von 33 Prozent
zu a. Bau- und Vergabestopp bis zum Referendum laut Koalitionsvereinbarung
Bis zum Referendum adressierte die Landesregierung den Bau- und Vergabestopp gegenüber der DB AG lediglich als Appell und forcierte ihn nicht als unabdingbare Voraussetzung für das Referendum. Im Gegenteil: Nils Schmid (Admin: Landesvorsitzender der SPD Baden Württemberg, Landeswirtschaftsminister), konterkarierte Mitte September mit der Unterzeichnung des Gestattungsvertrages die Koalitionsvereinbarung, denn seine Unterschrift versetzte die DB AG erst in die Lage, noch vor dem Referendum die Baumaßnahmen im landeseigenen Schlossgarten fortzusetzen und Rohre für das Grundwassermanagement aufzustellen. Am 26. Oktober 2011 erklärte Herr Schmid (2) auf dem Stuttgarter Marktplatz, dass er den Gestattungsvertrag mit Zustimmung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann unterzeichnet habe.
Darüber hinaus erfordert die von der DB AG geplante Verdoppelung der Menge an abzupumpendem Grundwasser (von 3,0 auf 6,8 Mio. Kubikmeter) im Stuttgarter Schlossgarten die Wiederaufnahme des Planfeststellungsverfahrens (s. Punkt d). Dies belegt ein Gutachten im Auftrag des Umweltministeriums. Demnach erscheinen Baumaßnahmen erst zulässig, wenn neue Genehmigungen für das Grundwassermanagement erteilt sind, ohne dessen einwandfreies Funktionieren der Tiefbahnhof nicht gebaut werden kann. (Dass die DB AG in einem solchen Fall eben sehr viel kostenaufwendiger wie in Berlin „unter Wasser“ bauen würde, wie der Konzernbevollmächtigte Fricke oder der Projektsprecher Wolfgang Dietrich ankündigten (3), spricht natürlich Bände.)
zu b. Transparenz über Prämissen und Ergebnisse des Stresstests laut Koalitionsvereinbarung
Im Faktencheck der „Schlichtung“ wurde ein objektiver Stresstest vereinbart, um vollkommene Leistungstransparenz zu gewährleisten. Die aus der „Schlichtung“ stammenden Anforderungen an den Stresstest wurden von der DB AG und den Projektbefürwortern systematisch unterlaufen, um die dort zugesicherte Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofes mit 49 Zügen höher erscheinen zu lassen als die des bestehenden Kopfbahnhofs. (Admin: Warum immer der bestehende Kopfbahnhof? Die nicht genutzten Gepäckbahnsteige lassen einen Umbau zur Kapazitätsausweitung zu!)
Aber auch die Landesregierung hat die Leistungsfähigkeit des bestehenden Kopfbahnhofs nicht feststellen lassen und die Bürger darüber zu lange nicht informiert. Da die Landesregierung die Begutachtung der Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofs nicht in Auftrag geben wollte, waren es zuletzt die Bürger der Stadt selbst, die ein solches Gutachten der Münchner Experten Vieregg & Rößler (4) finanzierten. Dabei wurden, wenn man nur geringfügige Änderungen an der Signalisierung vornimmt, 56 Züge ermittelt. Doch als das Gutachten vorlag, beschloss das Verkehrministerium, dessen Ergebnis erst noch von der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg prüfen zu lassen. Bis dann endlich das Ergebnis dieser Prüfung vorlag, war es zu spät, um die Zahl 56 Züge in die Informationsbroschüre der Landesregierung zur „Volksabstimmung“ aufzunehmen. Somit wurde der Nachweis, dass der Kopfbahnhof heute schon mehr leistet, als es der Tiefbahnhof je können wird, dort nicht publiziert. Die Landesregierung hat der Öffentlichkeit einen wesentlichen Sachverhalt für eine fundierte Meinungsbildung vorenthalten und auf diese Weise die Wähler getäuscht.
Ebenso gravierend war es, die Tatsache zu ignorieren, dass der von der DB AG durchgeführte Stresstest gegen bahneigene (!) Richtlinien verstößt (Richtlinie 405). Dies zeigt die Untersuchung von Dr. Christoph Engelhardt, die unter WikiReal (5) öffentlich zugänglich ist. Zu diesen Verstößen gehören unter vielen anderen: herabgesetzte Annahmen für Zugverspätungen, eine an die Spitzenstunde nicht angepasste Leistungskurve, fehlende Angaben zum Bahnsteig-Belegungsgrad im Bahnhof oder eine fehlende Vergleichssimulation mit dem Kopfbahnhof. Zudem hat die DB AG die Betriebsqualität bei Stuttgart 21 als „wirtschaftlich optimal“ dargestellt. Es ist jedoch bekannt, dass diese Einstufung in den Klauseln der Bahn lediglich „risikobehaftet“ bedeutet, da ein Verspätungsaufbau im Betrieb wahrscheinlich ist. Der Wiener Verkehrsexperte Professor Hermann Knoflacher (6) bestätigte im ZDF-Interview diesen und weitere Regelverstöße und urteilte: „Das war kein Stresstest.“ Ohne Zweifel – hat doch die DB AG selbst (!) in einer Gegendarstellung Verstöße eingeräumt (7).
Gleichwohl und völlig unnötig hat Ministerpräsiednet Kretschmann (8) Verfahren und Ergebnis des Stresstests noch vor (!) seiner Präsentation anerkannt. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht mehr, dass die Landesregierung so wenig unternommen hat, um die falschen Kosten und Leistungszahlen öffentlich richtig zu stellen, geschweige denn, die Wähler über die festgestellte Stundenkapazität von 56 Zügen im Kopfbahnhof zu informieren.
zu c. Kostentransparenz hinsichtlich der Bau- und der Ausstiegskosten laut Koalitionsvereinbarung
Die fehlende Kostentransparenz führt die demokratische Legitimation des Abstimmungsergebnisses, das ja immerhin der Finanzierungsfrage galt, endgültig ad absurdum. Denn wie soll über etwas abgestimmt werden, über das die Wähler keine vollständigen und nachvollziehbaren Angaben vorliegen haben?
Anstatt die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen und vollkommene Transparenz sowohl über die Projektkosten als auch über die Ausstiegskosten herzustellen, wählten Teile der Landesregierung sogar den umgekehrten Weg: Mehr oder weniger ohne öffentlichen Widerspruch durften die Projektbefürworter, darunter führende Mitglieder der Regierung, die Projektkosten systematisch und wider besseres Wissen beschönigen, gleichzeitig trieben sie durch Hinzunahme nicht zulässiger und nicht zurechnungsfähiger Beträge die Ausstiegskosten in aberwitzige Höhen.
Der „Stern“ hatte bereits im April 2011 aufgedeckt (9), dass die DB AG in 47 von 121 Risikofeldern mit Kostensteigerungen in Höhe von 1.264 Mio. Euro rechnet; in den verbleibenden 73 Risikofeldern wurden keine Angaben zu Kosten gemacht. Trotz dieser Belege beschränkte sich die Landesregierung auf zahnlose Appelle an die DB AG und erklärte lediglich, keine Mehrkosten bezahlen zu wollen.
zu d. Vorliegen vollständiger Planfeststellungsanträge für alle noch nicht genehmigten Bauabschnitte laut Koalitionsvereinbarung
„Insgesamt gilt für neue Projekte wie beispielsweise das Projekt Stuttgart 21 grundsätzlich, dass eine Umsetzung erst nach abgeschlossenen Planfeststellungsverfahren erfolgt.“ Diese zweifellos vernünftige Selbstverpflichtung hat der Vorstand (10) der DB AG angesichts von Projektrisiken und Kostensteigerungen bereits 2001 in seinem Geschäftsbericht erklärt. Leider hat die DB AG diesen Grundsatz bereits mit dem „offiziellen Baubeginn“ Anfang 2010 gebrochen, und sie setzt mit den aktuellen Bauarbeiten den Bruch ihrer Regularien von Projektrisiken konsequent fort, denn:
Für die Bahnanlagen am Flughafen (PFA 1.3) hat die DB AG seit 2002 mehrfach Pläne beim Eisenbahnbundesamt (EBA) eingereicht und ist zuletzt im Frühjahr 2011 damit gescheitert. Dabei sollte dieses Planfeststellungsverfahren gemäß der DB-Planung Ende 2009 abgeschlossen sein. Tatsächlich steht es seit neun Jahren am Anfang: Die Planunterlagen liegen dem Regierungspräsidenten noch gar nicht vor, und das Anhörungsverfahren ist noch nicht eröffnet. Das Brisante der PFA 1.3 ist: Ohne den ICE Bahnhof am Flughafen und den weiteren Bahnanlagen dieses Abschnittes ist der Anschluss von Stuttgart 21 an die geplante Neubaustrecke nicht möglich! Darüber hinaus ist auch der für das Funktionieren von Stuttgart 21 unabdingbare Abstellbahnhof Untertürkheim (Bauabschnitt PFA 1.6b) nach wie vor nicht planfestgestellt.
Kurzum: Weshalb die DB AG sich inzwischen an ihre eigene Selbstverpflichtung nicht mehr halten mag, könnte vielleicht noch ihre Sache sein. Dass allerdings die Landesregierung darauf nicht nachdrücklich bestehen mag, wird uns steuerzahlenden Bürgern noch enormen Schaden zufügen.
zu e. Gemeinsames Bemühen zur Abschaffung und Absenkung der demokratiebehindernden
Zustimmungsquoren laut Koalitionsvereinbarung Die Landesregierung beabsichtigt, sich gemeinsam um eine Änderung der demokratiebehindernden Zustimmungsquoren von 33 Prozent (für einfache Gesetze) bzw. 50 Prozent (für Verfassungsgesetze) zu bemühen. Dazu hätte sie durchaus die Möglichkeit gehabt, indem sie mit dem Referendum vom 27.11. zum Kündigungsgesetz zeitgleich ein zweites Referendum zur Abschaffung des 33-Prozent-Quorums bei einfachen Gesetzen hätte durchführen können (11).
Das bei der Abstimmung über Verfassungsgesetze noch höhere Zustimmungsquorum von 50 Prozent kann nicht als Begründung dafür herhalten, den Versuch nicht einmal gewagt zu haben. Es zeigt nur überdeutlich, dass es der Landesregierung entgegen ihrer Aussagen keineswegs darum ging, endlich „mehr Demokratie zu wagen“, sondern vielmehr, an die aus ihrer Sicht leidige Debatte endlich den berühmten „Knopf dranzumachen“.
Fazit zu den im Koalitionsvertrag vereinbarten Absichten und angestrebten Maßnahmen für das Referendum:
Die Landesregierung hat die in Aussicht gestellten Vorbedingungen nicht erfüllt und zugelassen, dass die Wähler Baden-Württembergs im Vorfeld des Referendums massiv getäuscht wurden.
- Sie hat die Erwartungshaltung, die von den im Koalitionsvertrag formulierten Punkten geweckt wurde, mehrfach enttäuscht und teilweise sogar konterkariert.
- Sie hat keine der bezüglich Stuttgart 21 in Aussicht gestellten Maßnahmen erfüllt; stattdessen hat sie sie ad absurdum geführt.
- Sie hat nichts unternommen, um die falschen Kosten und Leistungszahlen öffentlich richtig zu stellen.
Als Bürger, die sich zu den demokratischen Grundprinzipien unserer Gesellschaft bekennen, bewerten wir die Ausgangs- und Rahmenbedingungen, unter denen das Referendum vom 27.11.2011 stattgefunden hat, als unlauter und unangemessen. Deshalb ist für uns das Ergebnis nicht akzeptabel.
3. Machtdemonstration statt Sachinformation
Die Landesregierung hat zugelassen, dass für Projektbefürworter und -gegner eklatant ungleiche Ausgangsbedingungen an Kommunikationsbudgets und Zugängen zu den Medien bestanden. Sie hat zugelassen, dass öffentliche Körperschaften, Kommunen und Regionalverbände landesweit mit falschen Zahlen die Entscheidungsfindung der Wähler systematisch beeinflussen und unzulässig manipulieren konnten. Und sie hat zugelassen, dass hierfür im großen Umfang sogar Steuergelder zweckentfremdet wurden. 130.000 Euro kostete allein der Brief des Stuttgarter Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster (CDU) an die Wählerschaft der Stadt, die Region Stuttgart investierte in ihre ebenso einseitige Werbung mit Broschüren und Zeitungsanzeigen 1.000.000 Euro (12).
Diese Missachtung des staatlichen Neutralitäts- und Objektivitätsgebots verletzte unabdingbare demokratische Grundprinzipien und Mindeststandards. Die massive einseitige Einflussnahme der Gebietskörperschaften würdigt das Referendum zu einem traurigen Beispiel staatlich organisierter Desinformation herab und führt eines ad absurdum: den Verfassungsgrundsatz, demzufolge alle Willensbildung vom Volk ausgeht.
Der 27.11.2011 war somit kein „guter Tag für die Demokratie“. Wenn wir derartige Praktiken staatlicher Einmischung widerspruchslos hinnähmen, dann würden wir der direkten Demokratie in Deutschland einen Bärendienst erweisen. Denn jede öffentliche Meinungsbildung und jegliches plebiszitäre Element könnten dann zur Spielwiese gelenkter staatlicher Meinungsmache degradiert werden.
Wenn Ministerpräsident Kretschmann verlauten lässt, Baden-Württemberg hätte eine klare Entscheidung für Stuttgart 21 getroffen („Die nehmen wir an – ohne Hintertürchen und doppelten Boden.“), obwohl den Wahlberechtigten zutreffende Fakten vorenthalten und falsche Tatsachen vorgespiegelt worden waren, dann müssen wir ihm mit den Worten Hannah Arendts entgegnen: „Tatsachen sind der Gegenstand von Meinungen, und Meinungen können sehr verschiedenen Interessen und Leidenschaften entstammen, weit voneinander abweichen und doch alle noch legitim sein, solange sie die Integrität der Tatbestände, auf die sie sich beziehen, respektieren.“
Der von Hannah Arendt zu Recht eingeforderte Respekt vor der „Integrität der Tatbestände” war bei
den Projektbefürwortern jedoch in keiner Phase zu erkennen – weder wurde dieser Respekt beim
Faktencheck in der „Schlichtung”, noch bei der Stresstestpräsentation, geschweige denn im Vorfeld der „Volksabstimmung“ gezeigt. Im Gegenteil: Auf unlautere Weise verkehrte die Befürworterseite die Tatsachen in Meinungen, deren polemisch zugespitzte Formulierungen nur einem Ziel dienten: jegliche sachliche Auseinandersetzung zu unterbinden. Dass sich unter diesen Bedingungen 1.507.961 Wähler für ein Ja entschieden haben – das ist das Wunder.
Die Mehrheit an Nein-Stimmen wurde mit zweifelhaften Methoden, mit Hintertürchen und doppelten Böden in einer pseudodemokratischen Inszenierung errungen. Diese Mehrheit kann daher nicht als Argument benutzt werden, den Protest gegen Stuttgart 21 ruhigzustellen. Ebenso wenig kann das Ergebnis der „Volksabstimmung” als Argument benutzt werden, um unserem friedlichen und gewaltlosen Widerstand die Legitimation abzusprechen.
Dies lässt uns nur eine Konsequenz zu:
Die nach wie vor ungeklärten Tatbestände der Finanzierungs- und Baurisiken und 1.507.961 Ja-Stimmen bestärken uns darin, dass es mehr denn je eines friedlichen und gewaltlosen Protestes gegen das Projekt Stuttgart 21 bedarf. Denn wir wollen, ja müssen verhindern, dass die DB AG mit Abrissbirne und Kettensäge in Stuttgart weiter wütet und noch mehr irreparable Schäden anrichtet, ohne vorher die wahren Belastungen für Stadt und Land offenzulegen.
Solange die Landesregierung nicht willens ist (13), entsprechend ihrem Amtseid Schaden von uns abzuwenden und die nach wie vor ungeklärten Tatbestände zu klären, dürfen wir als mündige Bürger uns nicht davon abbringen lassen, im Sinne des Gemeinwohls weiterhin unsere Proteste mit aller Kraft fortzusetzen.
Wir fordern von der Landesregierung:
Handeln Sie entsprechend Ihrem Amtseid, der Sie verpflichtet, Schaden von uns abzuwenden! Missbrauchen Sie nicht länger das Abstimmungsergebnis als Blankoscheck für Ihre Untätigkeit!
∗ Verlangen Sie von der DB AG den Bauablaufplan und den Nachweis, weshalb der Abriss des Südflügels und weiterer denkmalgeschützter Gebäude sowie das Fällen der Bäume im Schlossgarten zum jetzigen Zeitpunkt unabdingbar sind, denn nur unter dieser Bedingung darf das Land Polizeikräfte zur Durchsetzung des Baurechtes bereitstellen! Prüfen Sie die aktuellen Baupläne und stellen Sie fest, ob die DB AG ohne Fertigstellung des Nesenbachdükers überhaupt mit dem Bau des Tiefbahnhofs im Juli 2012 beginnen kann!
∗ Führen Sie vor der Eröffnung der PFA 1.3 einen öffentlichen Faktencheck mit Bürgerbeteiligung auf den Fildern durch!
∗ Nehmen Sie die Kritik von Dr. Christoph Engelhardt und den Ingenieuren 22 am „Stresstest“ auf, zwingen Sie die SMA zu einer Stellungnahme, und gewährleisten Sie einen fairen Leistungsvergleich von Kopf- und Tiefbahnhof. Eine Kapazitätsminderung darf nicht bezuschusst werden!
∗ Fordern Sie die DB AG auf, umgehend eine aktualisierte Kostenrechnung mit Berücksichtigung aller in der „Schlichtung“ vereinbarten Maßnahmen vorzulegen, und stellen Sie im Zuge einer Zusatzvereinbarung zum Finanzierungsvertrag sicher, dass die maximale Landesbeteiligung von 931 Mio. Euro festgeschrieben wird.
In diesem Sinne: Ja – ich stimme dieser Erklärung zu und unterstütze die Forderungen der Bürgerinnen und Bürger der Protestbewegung gegen Stuttgart 21 - (siehe Link weiter unten).
Quellennachweise:
(1) “Wenn das Volk gesprochen hat, dann ist Schweigen". SPD-Finanzminister über den Volksentscheid in Baden-Württemberg zu Stuttgart 21. Radio-Interview vom 16.06.2011 (Abruf: 17.12.2011).
"Das Volk macht einen Knopf dran", Interview mit Winfried Kretschmann vom 11.11.2011.
(Abruf: 14.12.2011).
(2) Nils Schmid (SPD) auf dem Stuttgarter Marktplatz bei der Veranstaltung „Wir reden mit” am 26.10.2011. Video ab Minute 12:00 (Abruf 14.12.2011).
(3) Vgl. S21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich in Planfeststellungsbeschluss für den Tiefbahnhof der Stuttgarter Zeitung vom 30.06.2011: „Selbst wenn der durch einen entsprechenden Gerichtsentscheid neu aufgerollt werden müsste, werde das Projekt nicht aufzuhalten sein. Dietrich: ‚Dann ändern wir die Pläne und betonieren wie in Berlin unter Wasser.’“.
Ähnlich Eckart Fricke im Schwarzwälder Boten vom 14.06.2011: „Ohne weitere Genehmigung müssten wir den Bahnhof unter Wasser betonieren. Das wollen wir nicht", verdeutlicht der DB-Konzernbevollmächtigte Eckart Fricke die Problematik.“
(Abrufe: 14.12.2011).
(4) Vieregg-Rössler GmbH Innovative Verkehrsberatung, München: Vieregg & Rößler "Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Hauptbahnhofs in seiner heutigen Gleiskonfiguration", ( Gutachten vom 13.10.2011. (Abruf: 14.12.2011).
(5) Christoph Engelhardt: Stresstest-Gutachten (Stand: 01.12.2011) (Abruf 03.12.2011).
(6) Hermann Knoflacher, Professor an der Technischen Universität Wien, im ZDF-Interview bei Frontal21 am 22.11.2011. , Stand 23.11.2011 (Abruf: 17.12.2012).
(7) „Wissenschaftler werfen Bahn Trickserei vor“, Artikel in der Stuttgart Zeitung vom 18.11.2011. Zitat: „Die Gruppe wirft der Bahn vor, im Stresstest ‚freihändig und verfälschend’ eine neue Qualitätsstufe aus diversen Passagen der Richtlinie ‚zusammengestückelt’ zu haben. Damit sei suggeriert worden, das angestrebte Ziel einer ‚wirtschaftlich optimalen’ Leistungsfähigkeit erlaube einen Verspätungszuwachs. Tatsächlich liege eine Zunahme von einer Minute bereits ‚an der Grenze zum mangelhaften Bereich’ – diesen Hinweis suche man in der Collage der Bahn vergeblich. Die Bahn erklärte dazu, ‚der wirtschaftlich optimale Leistungsbereich umfasst (an seiner Grenze zur mangelhaften Betriebsqualität) auch den Bereich der risikobehafteten Betriebsqualität’.“ (Abruf: 14.12.2011).
(8) „Kretschmann akzeptiert Stresstest-Ergebnis“. Artikel vom 22.07.2011 [die Präsentation des Stresstests war am 29.07.2011!]. (Abruf: 11.12.2011)
(9) Arno Luik: „Ein Bahnhof voller Risiken“, Artikel im Stern vom 05.04.2011. (Abruf: 14.12.2011).
(10) Geschäftsbericht der Deutschen Bahn AG 2001, S. 20, Absatz: Projektrisiken. (Abruf: 17.12.2011).
(11) Laut der baden-württembergischen Landesverfassung (Artikel 64, Absatz 3) ist eine Verfassungsänderung, etwa die Abschaffung des Quorums, auch möglich, wenn eine einfache Mehrheit der Landtagsabgeordneten hierzu eine Volksabstimmung beantragt und mehr als 50 Prozent aller Wahlberechtigten dafür stimmen.
(12) Vgl. Hermann Abmayr: „Wehe, wenn“, Artikel in KONTEXT:Wochenzeitung vom 14.12.2011. (Abruf: 15.12.2011): „Kritik übt der Jurist [Roland Geitmann] auch am ungleichen Mitteleinsatz der Anhänger des Tiefbahnhofs und der Gegner. Soweit sich Aktiengesellschaften oder Wirtschaftsverbände beteiligten, wünscht er sich zumindest größtmögliche Transparenz. Öffentliche Träger dürften zwar ihre Sachposition vertreten, sollten aber für die Gegenposition dieselben Mittel zur Verfügung stellen. Geitmann spielt dabei auf den Brief des Stuttgart Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster an die Wählerinnen und Wähler der Stadt an, Kosten 130 000 Euro, und auf die STUTTGARTER ERKLÄRUNG zur Fortführung des Widerstandes gegen Stuttgart 21 ebenso einseitige Werbung der Region Stuttgart mit Broschüren und Zeitungsanzeigen. Kosten: eine Million Euro. Die Befürworter von Stuttgart 21 hätten ein Vielfaches dessen einsetzen können, was die Gegner zur Verfügung hatten.“
(13) Den Zweck des Abstimmungsergebnisses als künftiger „Blankoscheck“ untermauert exemplarisch eine Stellungnahme aus dem Verkehrsministerium, die eine Anfrage zur Mehrkostenübernahme beantwortete:
„Auf Grund des Ergebnisses der Volksabstimmung ist es derzeit so gut wie nicht möglich, Änderungsvorschläge hinsichtlich des geplanten – und genehmigten – neuen Bahnhofs vorzulegen oder gar durchzusetzen.“ Information im Parkschützerforum vom 14.12.2011. (Abruf: 14.12.2011).
Weitere Quellen:
* Hermann Abmayr: „Wehe, wenn“, Artikel in KONTEXT:Wochenzeitung vom 14.12.2011.
(Abruf: 15.12.2011).
* „Kretschmanns Fans“, offener Brief an Ministerpräsident Kretschmann, 24.11.2011. PDF
* Karl-Dieter Bodack: „Stuttgart 21“ scheitert in sechs Problemfeldern. , Stand: 29.11.2011 (Abruf: 17.12.2011).
* Koalitionsvertrag zwischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD Baden-Württemberg. Baden-Württemberg 2011. „Bei Volksabstimmungen über die Änderung von Gesetzen soll das Zustimmungsquorum entfallen und bei der Änderung der Landesverfassung soll es abgesenkt werden. Bei Volksabstimmungen über die Änderung von Gesetzen soll das Zustimmungsquorum entfallen und bei der Änderung der Landesverfassung soll es abgesenkt werden“ (S. 60). (Abruf: 3.12.2011).
* Jens Loewe: Demokratie oder Täuschung? Überlegungen zu der anstehenden Volksabstimmung über Stuttgart 21. (Stand: 24.08.2011).
* Mehr Demokratie e.V: „Stuttgart 21-Monitoring“, Pressemitteilung vom 29.11.2011.: „In einzelnen Fällen sei es außerdem zu einseitiger Einflussnahme gekommen, etwa durch die Stadt Stuttgart. „Oberbürgermeister Wolfgang Schuster hat für 130.000 Euro alle 370.000 Stimmberechtigten anschreiben lassen“, erläutert Weber „Außerdem ist die Stadt Mitglied im pro Stuttgart 21 eingestellten Verein Turmforum. Hier wurden und werden zum Vorteil der Nein-Seite auf nicht nachvollziehbare Weise Steuergelder ausgegeben.“ (Abruf: 17.12.2011).
* Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg: „Kopfbahnhof könnte heute schon mehr Züge abwickeln als S 21“, Pressemitteilung vom 22.11.2011. (Abruf: 14.12.2011).
* Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg: "Prüfung der Untersuchung 'Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Hauptbahnhofs in seiner heutigen Gleiskonfiguration' der Vieregg-Rößler GmbH", 21.11.2011 (Az.: 3800.9-00).
* Regionalverband Donau – Iller, Sitzung der Verbandsversammlung am 15. November 2011 in der Stadt Memmingen. (Stand: 21.11.2011).
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Zur Historie der Stuttgarter Erklärung im Parkschützer-Forum:
(1.12.2011) sowie (3.12.2011).
Die vorliegende Version ist zu finden unter dem Download-Link, der hinterlegt ist
Endredaktion: Ulrike Braun (SoS21 Schwabenoffensive gegen Stuttgart 21)
Ja – ich stimme der Stuttgarter Erklärung zur Fortführung des Widerstandes gegen Stuttgart 21 zu und unterstütze die Forderungen der Bürgerinnen und Bürger der Protestbewegung!
Wie können Sie das?
► Sie können online unterzeichnen:
Die Stuttgarter Erklärung ist zum Unterzeichnen auf openPetition eingestellt.
Dort finden Sie auch den Download-Link, unter dem der Text der von Ihnen unterstützten Erklärung hinterlegt ist.
Unterschriften mit Adressen außerhalb Baden-Württembergs sind zwar streng genommen nicht „gültig“. Sie wirken aber dennoch politisch und zeigen die überregionale Bedeutung unseres Anliegens.
Die Online-Unterzeichnung ist für uns am einfachsten zu verwalten und auszuwerten.
Sie können aber auch gerne „auf Papier“ unterschreiben:
► Sie können direkt auf einer Sammelliste bei der Mahnwache am Hbf-Nordausgang in Stuttgart unterschreiben.
► Sie können auch selber Unterschriften sammeln, indem Sie diese Seite einschließlich der nächsten Seite ausdrucken oder kopieren und leserlich ausfüllen lassen.
Danach zurücksenden an:
Bürger gegen S21 / Stuttgarter Erklärung
c/o Parkschützerbüro, Urbanstr. 49A, 70182 Stuttgart
oder bei der Mahnwache abgeben.
STUTTGARTER ERKLÄRUNG zur Fortführung des Widerstandes gegen Stuttgart 21
V.i.S.d.P. Ulrike Braun (Bürger gegen S21/Stuttgarter Erklärung) c/o Parkschützerbüro, Urbanstr. 49A, 70182 Stuttgart
STUTTGARTER ERKLÄRUNG
zur Fortführung des Widerstandes gegen Stuttgart 21 von Bürgerinnen und Bürgern der Protestbewegung aus Anlass des Referendums vom 27.11.2011
Bei der Abstimmung in Baden-Württemberg über das S21-Kündigungsgesetz der Landesregierung votierte die Mehrheit gegen eine Kündigung der Landesbeteiligung. Das ist eine Tatsache, aber noch lange kein Grund, uns Bürgern gegen Stuttgart 21 das Recht auf weiteren Widerstand gegen das Projekt abzusprechen. Weder hat das Wählervotum das „heilige Grundrecht“ (Heiner Geißler), unser Demonstrationsrecht außer Kraft gesetzt, noch haben sich in der Nacht auf den 28.11. alle bekannten Risiken und Nebenwirkungen des Projekts Stuttgart 21 in Luft aufgelöst.
Wir werden also unsere Mahnwachen und Montagsdemonstrationen „penetrant vernünftig“ beibehalten und weiterhin kritisch auf die Missstände hinweisen – auch wenn wir als „radikale Restminderheit“tituliert werden oder Ministerpräsident Kretschmann uns gar als „Fanatikern“ jegliches Verständnis entziehen will. Weshalb, ist sein Geheimnis. Denn Projektbetreiber und Politik, Medien und Mitbürger dürfen uns zwar als störend und lästig darstellen, keinesfalls aber als „nicht legitim“. Doch wollen sie diesen wesentlichen Unterschied wohl nicht begreifen, wenn sie unserem friedlichen, gewaltfreien Protest die Legitimation absprechen und uns permanent auffordern, als gute Demokraten „spätestens jetzt“ in eine „kritische Begleitung“ zu wechseln. – Freilich, dieses Spiel kennen wir schon.
Wie nach „Schlichtung“ und Stresstestpräsentation drehen uns Politik und Medien einen Strick daraus, dass wir uns überhaupt auf das Verfahren der „Volksabstimmung“ eingelassen haben. Einmal mehr ist die frühzeitig und mehrfach geäußerte Kritik am Verfahren selbst unbeachtet geblieben, dieses Mal die Kritik am Verfahren des Referendums, die wir lange vor dem 27.11.2011 immer wieder angebracht hatten.
Wie gehabt ließen Politik und Medien unsere Hinweise auf Risiken & Nebenwirkungen verpuffen. Erneut wollen sie uns als „schlechte Verlierer“ endgültig vom Platz schicken. Aber wieder einmal – vergebens.
Denn wir stehen immer noch dort, wo wir seit dem Abriss des Nordflügels stehen, weil auch der 27.11. das Projekt Stuttgart 21 in der Sache nicht verbessert hat. Daher machen wir das, was wir seit Jahren machen: Wir leisten Widerstand, und wir schauen als bürgerschaftliche Opposition der Regierung genau auf die Finger. Wir haben die Ausgangs- und Rahmenbedingungen des Referendums gründlich untersucht und bewertet und kommen zu folgendem Urteil: Die von der Landesregierung so beschworene Mitsprache des Souveräns entpuppt sich als eine inszenierte, scheindemokratische Farce.
Wir begründen unser Urteil aus drei verschiedenen Perspektiven:
1. „Das Volk hat legitimiert“ – aber wie?
2. Die Regelungen im Koalitionsvertrag zum Referendum: Machtdemonstration statt Sachinformation
1. „Das Volk hat legitimiert“ – aber wie?
Vorab: Eine Volksabstimmung wird vom Volk angestoßen; eine Fragestellung, die von der Regierung den Wählern zur Entscheidung vorgelegt wird, heißt Referendum. Die grün-rote Landesregierung hat für die Klärung der Frage, ob das Land den Finanzierungsanteil am Projekt Stuttgart 21 kündigen soll, zwar ein Referendum veranlasst, dieses aber unter der griffigeren Bezeichnung Volksabstimmung umgesetzt.
Das Abstimmungsergebnis ist bekannt. Landauf, landab heißt es nun, nach der Zustimmung durch die politischen Gremien habe sich jetzt auch „das Volk“ mehrheitlich für das Projekt Stuttgart 21 ausgesprochen. Dass mit dieser Interpretation des Referendums der Bau des Projektes legitimiert werden soll, lehnen wir ab. Weshalb?
Ein kurzer Blick auf die Historie zeigt auf: Eine Volksabstimmung war im Sommer 2010 von der SPD ins Spiel gebracht worden, um eine drohende Parteispaltung abzuwenden, ohne S21 zu gefährden. Die SPD wusste, dass die Landesverfassung ein hohes Zustimmungsquorum vorsieht. Sie wusste, dass die Abstimmung nur die Finanzierung betreffen konnte (also einen Teilaspekt des Projektes). Sie wusste, dass ganz Baden-Württemberg über eine Stuttgarter Angelegenheit abstimmen konnte. Und die SPD wusste, dass diese Abstimmung aus den genannten Gründen keine Chance haben würde, gewonnen zu werden.
Die Landesregierung hat somit die „Volksabstimmung“ nicht durchgeführt, um unvoreingenommen Volkes Stimme zu hören. So wenig wie die verantwortlichen Politiker die bereits „von unten“ – von den Stuttgarter Bürgern 1997 und 2007 und 2011 – angestrebten Verfahren eines Bürgerentscheids oder einer Bürgerbefragung auf kommunaler Ebene unterstützten. Natürlich nicht: Denn die Abstimmung durch „das Volk“ diente vor allem dazu, den Streit der in dem Punkt „Stuttgart 21“ uneinigen Landesregierung zu befrieden, und sie sollte den von Ministerpräsident und Stellvertreter (1) offen bekundeten Zweck erfüllen: Danach sollte „Schweigen herrschen“ (Nils Schmid), und es sollte ein „Knopf drangemacht“ werden (Winfried Kretschmann).
Also einigten sich die Koalitionspartner in ihrem Vertrag auf das „von oben“ verordnete und zur Volksabstimmung umetikettierte Referendum. Einig waren sie sich auch darin, vorher lieber nicht prüfen zu lassen, ob der Finanzierungsvertrag für das Projekt Stuttgart 21 überhaupt rechts- bzw. verfassungskonform ist. Mit anderen Worten: Die Landesregierung hat willentlich und wissentlich in Kauf genommen, mittels eines direkten Wählervotums die Verfassung auszuhebeln.
Warum hat sich das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 auf diese scheindemokratische Farce eingelassen?
Weil es anscheinend darauf vertraut hat, dass die grün-rote Landesregierung die in ihrem Koalitionsvertrag vom 27. April 2011 getroffenen Vereinbarungen als Vorbedingungen erfüllen und im Vorfeld des Referendums den Wählern alle wichtigen Tatbestände und Fragen darlegen würde. Eine solche offensive und faktenbasierende Information ist nicht geschehen, im Gegenteil: Fakten, die zur Klärung dieser Fragen ans Licht kamen, wurden ignoriert und nicht aufgegriffen.
2. Die Regelungen im Koalitionsvertrag zum Referendum
Zu den im Koalitionsvertrag vereinbarten Absichten und angestrebten Maßnahmen für das Referendum zählen:
a. Bau- und Vergabestopp bis zum Referendum
b. Vollständige Transparenz über Prämissen und Ergebnisse des Stresstests
c. Vollständige Kostentransparenz hinsichtlich der Bau- und der Ausstiegskosten
d. Vorliegen vollständiger Planfeststellungsanträge für alle noch nicht genehmigten Bauabschnitte
e. Gemeinsames Bemühen zur Abschaffung des Zustimmungsquorums von 33 Prozent
zu a. Bau- und Vergabestopp bis zum Referendum laut Koalitionsvereinbarung
Bis zum Referendum adressierte die Landesregierung den Bau- und Vergabestopp gegenüber der DB AG lediglich als Appell und forcierte ihn nicht als unabdingbare Voraussetzung für das Referendum. Im Gegenteil: Nils Schmid (Admin: Landesvorsitzender der SPD Baden Württemberg, Landeswirtschaftsminister), konterkarierte Mitte September mit der Unterzeichnung des Gestattungsvertrages die Koalitionsvereinbarung, denn seine Unterschrift versetzte die DB AG erst in die Lage, noch vor dem Referendum die Baumaßnahmen im landeseigenen Schlossgarten fortzusetzen und Rohre für das Grundwassermanagement aufzustellen. Am 26. Oktober 2011 erklärte Herr Schmid (2) auf dem Stuttgarter Marktplatz, dass er den Gestattungsvertrag mit Zustimmung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann unterzeichnet habe.
Darüber hinaus erfordert die von der DB AG geplante Verdoppelung der Menge an abzupumpendem Grundwasser (von 3,0 auf 6,8 Mio. Kubikmeter) im Stuttgarter Schlossgarten die Wiederaufnahme des Planfeststellungsverfahrens (s. Punkt d). Dies belegt ein Gutachten im Auftrag des Umweltministeriums. Demnach erscheinen Baumaßnahmen erst zulässig, wenn neue Genehmigungen für das Grundwassermanagement erteilt sind, ohne dessen einwandfreies Funktionieren der Tiefbahnhof nicht gebaut werden kann. (Dass die DB AG in einem solchen Fall eben sehr viel kostenaufwendiger wie in Berlin „unter Wasser“ bauen würde, wie der Konzernbevollmächtigte Fricke oder der Projektsprecher Wolfgang Dietrich ankündigten (3), spricht natürlich Bände.)
zu b. Transparenz über Prämissen und Ergebnisse des Stresstests laut Koalitionsvereinbarung
Im Faktencheck der „Schlichtung“ wurde ein objektiver Stresstest vereinbart, um vollkommene Leistungstransparenz zu gewährleisten. Die aus der „Schlichtung“ stammenden Anforderungen an den Stresstest wurden von der DB AG und den Projektbefürwortern systematisch unterlaufen, um die dort zugesicherte Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofes mit 49 Zügen höher erscheinen zu lassen als die des bestehenden Kopfbahnhofs. (Admin: Warum immer der bestehende Kopfbahnhof? Die nicht genutzten Gepäckbahnsteige lassen einen Umbau zur Kapazitätsausweitung zu!)
Aber auch die Landesregierung hat die Leistungsfähigkeit des bestehenden Kopfbahnhofs nicht feststellen lassen und die Bürger darüber zu lange nicht informiert. Da die Landesregierung die Begutachtung der Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofs nicht in Auftrag geben wollte, waren es zuletzt die Bürger der Stadt selbst, die ein solches Gutachten der Münchner Experten Vieregg & Rößler (4) finanzierten. Dabei wurden, wenn man nur geringfügige Änderungen an der Signalisierung vornimmt, 56 Züge ermittelt. Doch als das Gutachten vorlag, beschloss das Verkehrministerium, dessen Ergebnis erst noch von der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg prüfen zu lassen. Bis dann endlich das Ergebnis dieser Prüfung vorlag, war es zu spät, um die Zahl 56 Züge in die Informationsbroschüre der Landesregierung zur „Volksabstimmung“ aufzunehmen. Somit wurde der Nachweis, dass der Kopfbahnhof heute schon mehr leistet, als es der Tiefbahnhof je können wird, dort nicht publiziert. Die Landesregierung hat der Öffentlichkeit einen wesentlichen Sachverhalt für eine fundierte Meinungsbildung vorenthalten und auf diese Weise die Wähler getäuscht.
Ebenso gravierend war es, die Tatsache zu ignorieren, dass der von der DB AG durchgeführte Stresstest gegen bahneigene (!) Richtlinien verstößt (Richtlinie 405). Dies zeigt die Untersuchung von Dr. Christoph Engelhardt, die unter WikiReal (5) öffentlich zugänglich ist. Zu diesen Verstößen gehören unter vielen anderen: herabgesetzte Annahmen für Zugverspätungen, eine an die Spitzenstunde nicht angepasste Leistungskurve, fehlende Angaben zum Bahnsteig-Belegungsgrad im Bahnhof oder eine fehlende Vergleichssimulation mit dem Kopfbahnhof. Zudem hat die DB AG die Betriebsqualität bei Stuttgart 21 als „wirtschaftlich optimal“ dargestellt. Es ist jedoch bekannt, dass diese Einstufung in den Klauseln der Bahn lediglich „risikobehaftet“ bedeutet, da ein Verspätungsaufbau im Betrieb wahrscheinlich ist. Der Wiener Verkehrsexperte Professor Hermann Knoflacher (6) bestätigte im ZDF-Interview diesen und weitere Regelverstöße und urteilte: „Das war kein Stresstest.“ Ohne Zweifel – hat doch die DB AG selbst (!) in einer Gegendarstellung Verstöße eingeräumt (7).
Gleichwohl und völlig unnötig hat Ministerpräsiednet Kretschmann (8) Verfahren und Ergebnis des Stresstests noch vor (!) seiner Präsentation anerkannt. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht mehr, dass die Landesregierung so wenig unternommen hat, um die falschen Kosten und Leistungszahlen öffentlich richtig zu stellen, geschweige denn, die Wähler über die festgestellte Stundenkapazität von 56 Zügen im Kopfbahnhof zu informieren.
zu c. Kostentransparenz hinsichtlich der Bau- und der Ausstiegskosten laut Koalitionsvereinbarung
Die fehlende Kostentransparenz führt die demokratische Legitimation des Abstimmungsergebnisses, das ja immerhin der Finanzierungsfrage galt, endgültig ad absurdum. Denn wie soll über etwas abgestimmt werden, über das die Wähler keine vollständigen und nachvollziehbaren Angaben vorliegen haben?
Anstatt die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen und vollkommene Transparenz sowohl über die Projektkosten als auch über die Ausstiegskosten herzustellen, wählten Teile der Landesregierung sogar den umgekehrten Weg: Mehr oder weniger ohne öffentlichen Widerspruch durften die Projektbefürworter, darunter führende Mitglieder der Regierung, die Projektkosten systematisch und wider besseres Wissen beschönigen, gleichzeitig trieben sie durch Hinzunahme nicht zulässiger und nicht zurechnungsfähiger Beträge die Ausstiegskosten in aberwitzige Höhen.
Der „Stern“ hatte bereits im April 2011 aufgedeckt (9), dass die DB AG in 47 von 121 Risikofeldern mit Kostensteigerungen in Höhe von 1.264 Mio. Euro rechnet; in den verbleibenden 73 Risikofeldern wurden keine Angaben zu Kosten gemacht. Trotz dieser Belege beschränkte sich die Landesregierung auf zahnlose Appelle an die DB AG und erklärte lediglich, keine Mehrkosten bezahlen zu wollen.
zu d. Vorliegen vollständiger Planfeststellungsanträge für alle noch nicht genehmigten Bauabschnitte laut Koalitionsvereinbarung
„Insgesamt gilt für neue Projekte wie beispielsweise das Projekt Stuttgart 21 grundsätzlich, dass eine Umsetzung erst nach abgeschlossenen Planfeststellungsverfahren erfolgt.“ Diese zweifellos vernünftige Selbstverpflichtung hat der Vorstand (10) der DB AG angesichts von Projektrisiken und Kostensteigerungen bereits 2001 in seinem Geschäftsbericht erklärt. Leider hat die DB AG diesen Grundsatz bereits mit dem „offiziellen Baubeginn“ Anfang 2010 gebrochen, und sie setzt mit den aktuellen Bauarbeiten den Bruch ihrer Regularien von Projektrisiken konsequent fort, denn:
Für die Bahnanlagen am Flughafen (PFA 1.3) hat die DB AG seit 2002 mehrfach Pläne beim Eisenbahnbundesamt (EBA) eingereicht und ist zuletzt im Frühjahr 2011 damit gescheitert. Dabei sollte dieses Planfeststellungsverfahren gemäß der DB-Planung Ende 2009 abgeschlossen sein. Tatsächlich steht es seit neun Jahren am Anfang: Die Planunterlagen liegen dem Regierungspräsidenten noch gar nicht vor, und das Anhörungsverfahren ist noch nicht eröffnet. Das Brisante der PFA 1.3 ist: Ohne den ICE Bahnhof am Flughafen und den weiteren Bahnanlagen dieses Abschnittes ist der Anschluss von Stuttgart 21 an die geplante Neubaustrecke nicht möglich! Darüber hinaus ist auch der für das Funktionieren von Stuttgart 21 unabdingbare Abstellbahnhof Untertürkheim (Bauabschnitt PFA 1.6b) nach wie vor nicht planfestgestellt.
Kurzum: Weshalb die DB AG sich inzwischen an ihre eigene Selbstverpflichtung nicht mehr halten mag, könnte vielleicht noch ihre Sache sein. Dass allerdings die Landesregierung darauf nicht nachdrücklich bestehen mag, wird uns steuerzahlenden Bürgern noch enormen Schaden zufügen.
zu e. Gemeinsames Bemühen zur Abschaffung und Absenkung der demokratiebehindernden
Zustimmungsquoren laut Koalitionsvereinbarung Die Landesregierung beabsichtigt, sich gemeinsam um eine Änderung der demokratiebehindernden Zustimmungsquoren von 33 Prozent (für einfache Gesetze) bzw. 50 Prozent (für Verfassungsgesetze) zu bemühen. Dazu hätte sie durchaus die Möglichkeit gehabt, indem sie mit dem Referendum vom 27.11. zum Kündigungsgesetz zeitgleich ein zweites Referendum zur Abschaffung des 33-Prozent-Quorums bei einfachen Gesetzen hätte durchführen können (11).
Das bei der Abstimmung über Verfassungsgesetze noch höhere Zustimmungsquorum von 50 Prozent kann nicht als Begründung dafür herhalten, den Versuch nicht einmal gewagt zu haben. Es zeigt nur überdeutlich, dass es der Landesregierung entgegen ihrer Aussagen keineswegs darum ging, endlich „mehr Demokratie zu wagen“, sondern vielmehr, an die aus ihrer Sicht leidige Debatte endlich den berühmten „Knopf dranzumachen“.
Fazit zu den im Koalitionsvertrag vereinbarten Absichten und angestrebten Maßnahmen für das Referendum:
Die Landesregierung hat die in Aussicht gestellten Vorbedingungen nicht erfüllt und zugelassen, dass die Wähler Baden-Württembergs im Vorfeld des Referendums massiv getäuscht wurden.
- Sie hat die Erwartungshaltung, die von den im Koalitionsvertrag formulierten Punkten geweckt wurde, mehrfach enttäuscht und teilweise sogar konterkariert.
- Sie hat keine der bezüglich Stuttgart 21 in Aussicht gestellten Maßnahmen erfüllt; stattdessen hat sie sie ad absurdum geführt.
- Sie hat nichts unternommen, um die falschen Kosten und Leistungszahlen öffentlich richtig zu stellen.
Als Bürger, die sich zu den demokratischen Grundprinzipien unserer Gesellschaft bekennen, bewerten wir die Ausgangs- und Rahmenbedingungen, unter denen das Referendum vom 27.11.2011 stattgefunden hat, als unlauter und unangemessen. Deshalb ist für uns das Ergebnis nicht akzeptabel.
3. Machtdemonstration statt Sachinformation
Die Landesregierung hat zugelassen, dass für Projektbefürworter und -gegner eklatant ungleiche Ausgangsbedingungen an Kommunikationsbudgets und Zugängen zu den Medien bestanden. Sie hat zugelassen, dass öffentliche Körperschaften, Kommunen und Regionalverbände landesweit mit falschen Zahlen die Entscheidungsfindung der Wähler systematisch beeinflussen und unzulässig manipulieren konnten. Und sie hat zugelassen, dass hierfür im großen Umfang sogar Steuergelder zweckentfremdet wurden. 130.000 Euro kostete allein der Brief des Stuttgarter Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster (CDU) an die Wählerschaft der Stadt, die Region Stuttgart investierte in ihre ebenso einseitige Werbung mit Broschüren und Zeitungsanzeigen 1.000.000 Euro (12).
Diese Missachtung des staatlichen Neutralitäts- und Objektivitätsgebots verletzte unabdingbare demokratische Grundprinzipien und Mindeststandards. Die massive einseitige Einflussnahme der Gebietskörperschaften würdigt das Referendum zu einem traurigen Beispiel staatlich organisierter Desinformation herab und führt eines ad absurdum: den Verfassungsgrundsatz, demzufolge alle Willensbildung vom Volk ausgeht.
Der 27.11.2011 war somit kein „guter Tag für die Demokratie“. Wenn wir derartige Praktiken staatlicher Einmischung widerspruchslos hinnähmen, dann würden wir der direkten Demokratie in Deutschland einen Bärendienst erweisen. Denn jede öffentliche Meinungsbildung und jegliches plebiszitäre Element könnten dann zur Spielwiese gelenkter staatlicher Meinungsmache degradiert werden.
Wenn Ministerpräsident Kretschmann verlauten lässt, Baden-Württemberg hätte eine klare Entscheidung für Stuttgart 21 getroffen („Die nehmen wir an – ohne Hintertürchen und doppelten Boden.“), obwohl den Wahlberechtigten zutreffende Fakten vorenthalten und falsche Tatsachen vorgespiegelt worden waren, dann müssen wir ihm mit den Worten Hannah Arendts entgegnen: „Tatsachen sind der Gegenstand von Meinungen, und Meinungen können sehr verschiedenen Interessen und Leidenschaften entstammen, weit voneinander abweichen und doch alle noch legitim sein, solange sie die Integrität der Tatbestände, auf die sie sich beziehen, respektieren.“
Der von Hannah Arendt zu Recht eingeforderte Respekt vor der „Integrität der Tatbestände” war bei
den Projektbefürwortern jedoch in keiner Phase zu erkennen – weder wurde dieser Respekt beim
Faktencheck in der „Schlichtung”, noch bei der Stresstestpräsentation, geschweige denn im Vorfeld der „Volksabstimmung“ gezeigt. Im Gegenteil: Auf unlautere Weise verkehrte die Befürworterseite die Tatsachen in Meinungen, deren polemisch zugespitzte Formulierungen nur einem Ziel dienten: jegliche sachliche Auseinandersetzung zu unterbinden. Dass sich unter diesen Bedingungen 1.507.961 Wähler für ein Ja entschieden haben – das ist das Wunder.
Die Mehrheit an Nein-Stimmen wurde mit zweifelhaften Methoden, mit Hintertürchen und doppelten Böden in einer pseudodemokratischen Inszenierung errungen. Diese Mehrheit kann daher nicht als Argument benutzt werden, den Protest gegen Stuttgart 21 ruhigzustellen. Ebenso wenig kann das Ergebnis der „Volksabstimmung” als Argument benutzt werden, um unserem friedlichen und gewaltlosen Widerstand die Legitimation abzusprechen.
Dies lässt uns nur eine Konsequenz zu:
Die nach wie vor ungeklärten Tatbestände der Finanzierungs- und Baurisiken und 1.507.961 Ja-Stimmen bestärken uns darin, dass es mehr denn je eines friedlichen und gewaltlosen Protestes gegen das Projekt Stuttgart 21 bedarf. Denn wir wollen, ja müssen verhindern, dass die DB AG mit Abrissbirne und Kettensäge in Stuttgart weiter wütet und noch mehr irreparable Schäden anrichtet, ohne vorher die wahren Belastungen für Stadt und Land offenzulegen.
Solange die Landesregierung nicht willens ist (13), entsprechend ihrem Amtseid Schaden von uns abzuwenden und die nach wie vor ungeklärten Tatbestände zu klären, dürfen wir als mündige Bürger uns nicht davon abbringen lassen, im Sinne des Gemeinwohls weiterhin unsere Proteste mit aller Kraft fortzusetzen.
Wir fordern von der Landesregierung:
Handeln Sie entsprechend Ihrem Amtseid, der Sie verpflichtet, Schaden von uns abzuwenden! Missbrauchen Sie nicht länger das Abstimmungsergebnis als Blankoscheck für Ihre Untätigkeit!
∗ Verlangen Sie von der DB AG den Bauablaufplan und den Nachweis, weshalb der Abriss des Südflügels und weiterer denkmalgeschützter Gebäude sowie das Fällen der Bäume im Schlossgarten zum jetzigen Zeitpunkt unabdingbar sind, denn nur unter dieser Bedingung darf das Land Polizeikräfte zur Durchsetzung des Baurechtes bereitstellen! Prüfen Sie die aktuellen Baupläne und stellen Sie fest, ob die DB AG ohne Fertigstellung des Nesenbachdükers überhaupt mit dem Bau des Tiefbahnhofs im Juli 2012 beginnen kann!
∗ Führen Sie vor der Eröffnung der PFA 1.3 einen öffentlichen Faktencheck mit Bürgerbeteiligung auf den Fildern durch!
∗ Nehmen Sie die Kritik von Dr. Christoph Engelhardt und den Ingenieuren 22 am „Stresstest“ auf, zwingen Sie die SMA zu einer Stellungnahme, und gewährleisten Sie einen fairen Leistungsvergleich von Kopf- und Tiefbahnhof. Eine Kapazitätsminderung darf nicht bezuschusst werden!
∗ Fordern Sie die DB AG auf, umgehend eine aktualisierte Kostenrechnung mit Berücksichtigung aller in der „Schlichtung“ vereinbarten Maßnahmen vorzulegen, und stellen Sie im Zuge einer Zusatzvereinbarung zum Finanzierungsvertrag sicher, dass die maximale Landesbeteiligung von 931 Mio. Euro festgeschrieben wird.
In diesem Sinne: Ja – ich stimme dieser Erklärung zu und unterstütze die Forderungen der Bürgerinnen und Bürger der Protestbewegung gegen Stuttgart 21 - (siehe Link weiter unten).
Quellennachweise:
(1) “Wenn das Volk gesprochen hat, dann ist Schweigen". SPD-Finanzminister über den Volksentscheid in Baden-Württemberg zu Stuttgart 21. Radio-Interview vom 16.06.2011 (Abruf: 17.12.2011).
"Das Volk macht einen Knopf dran", Interview mit Winfried Kretschmann vom 11.11.2011.
(Abruf: 14.12.2011).
(2) Nils Schmid (SPD) auf dem Stuttgarter Marktplatz bei der Veranstaltung „Wir reden mit” am 26.10.2011. Video ab Minute 12:00 (Abruf 14.12.2011).
(3) Vgl. S21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich in Planfeststellungsbeschluss für den Tiefbahnhof der Stuttgarter Zeitung vom 30.06.2011: „Selbst wenn der durch einen entsprechenden Gerichtsentscheid neu aufgerollt werden müsste, werde das Projekt nicht aufzuhalten sein. Dietrich: ‚Dann ändern wir die Pläne und betonieren wie in Berlin unter Wasser.’“.
Ähnlich Eckart Fricke im Schwarzwälder Boten vom 14.06.2011: „Ohne weitere Genehmigung müssten wir den Bahnhof unter Wasser betonieren. Das wollen wir nicht", verdeutlicht der DB-Konzernbevollmächtigte Eckart Fricke die Problematik.“
(Abrufe: 14.12.2011).
(4) Vieregg-Rössler GmbH Innovative Verkehrsberatung, München: Vieregg & Rößler "Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Hauptbahnhofs in seiner heutigen Gleiskonfiguration", ( Gutachten vom 13.10.2011. (Abruf: 14.12.2011).
(5) Christoph Engelhardt: Stresstest-Gutachten (Stand: 01.12.2011) (Abruf 03.12.2011).
(6) Hermann Knoflacher, Professor an der Technischen Universität Wien, im ZDF-Interview bei Frontal21 am 22.11.2011. , Stand 23.11.2011 (Abruf: 17.12.2012).
(7) „Wissenschaftler werfen Bahn Trickserei vor“, Artikel in der Stuttgart Zeitung vom 18.11.2011. Zitat: „Die Gruppe wirft der Bahn vor, im Stresstest ‚freihändig und verfälschend’ eine neue Qualitätsstufe aus diversen Passagen der Richtlinie ‚zusammengestückelt’ zu haben. Damit sei suggeriert worden, das angestrebte Ziel einer ‚wirtschaftlich optimalen’ Leistungsfähigkeit erlaube einen Verspätungszuwachs. Tatsächlich liege eine Zunahme von einer Minute bereits ‚an der Grenze zum mangelhaften Bereich’ – diesen Hinweis suche man in der Collage der Bahn vergeblich. Die Bahn erklärte dazu, ‚der wirtschaftlich optimale Leistungsbereich umfasst (an seiner Grenze zur mangelhaften Betriebsqualität) auch den Bereich der risikobehafteten Betriebsqualität’.“ (Abruf: 14.12.2011).
(8) „Kretschmann akzeptiert Stresstest-Ergebnis“. Artikel vom 22.07.2011 [die Präsentation des Stresstests war am 29.07.2011!]. (Abruf: 11.12.2011)
(9) Arno Luik: „Ein Bahnhof voller Risiken“, Artikel im Stern vom 05.04.2011. (Abruf: 14.12.2011).
(10) Geschäftsbericht der Deutschen Bahn AG 2001, S. 20, Absatz: Projektrisiken. (Abruf: 17.12.2011).
(11) Laut der baden-württembergischen Landesverfassung (Artikel 64, Absatz 3) ist eine Verfassungsänderung, etwa die Abschaffung des Quorums, auch möglich, wenn eine einfache Mehrheit der Landtagsabgeordneten hierzu eine Volksabstimmung beantragt und mehr als 50 Prozent aller Wahlberechtigten dafür stimmen.
(12) Vgl. Hermann Abmayr: „Wehe, wenn“, Artikel in KONTEXT:Wochenzeitung vom 14.12.2011. (Abruf: 15.12.2011): „Kritik übt der Jurist [Roland Geitmann] auch am ungleichen Mitteleinsatz der Anhänger des Tiefbahnhofs und der Gegner. Soweit sich Aktiengesellschaften oder Wirtschaftsverbände beteiligten, wünscht er sich zumindest größtmögliche Transparenz. Öffentliche Träger dürften zwar ihre Sachposition vertreten, sollten aber für die Gegenposition dieselben Mittel zur Verfügung stellen. Geitmann spielt dabei auf den Brief des Stuttgart Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster an die Wählerinnen und Wähler der Stadt an, Kosten 130 000 Euro, und auf die STUTTGARTER ERKLÄRUNG zur Fortführung des Widerstandes gegen Stuttgart 21 ebenso einseitige Werbung der Region Stuttgart mit Broschüren und Zeitungsanzeigen. Kosten: eine Million Euro. Die Befürworter von Stuttgart 21 hätten ein Vielfaches dessen einsetzen können, was die Gegner zur Verfügung hatten.“
(13) Den Zweck des Abstimmungsergebnisses als künftiger „Blankoscheck“ untermauert exemplarisch eine Stellungnahme aus dem Verkehrsministerium, die eine Anfrage zur Mehrkostenübernahme beantwortete:
„Auf Grund des Ergebnisses der Volksabstimmung ist es derzeit so gut wie nicht möglich, Änderungsvorschläge hinsichtlich des geplanten – und genehmigten – neuen Bahnhofs vorzulegen oder gar durchzusetzen.“ Information im Parkschützerforum vom 14.12.2011. (Abruf: 14.12.2011).
Weitere Quellen:
* Hermann Abmayr: „Wehe, wenn“, Artikel in KONTEXT:Wochenzeitung vom 14.12.2011.
(Abruf: 15.12.2011).
* „Kretschmanns Fans“, offener Brief an Ministerpräsident Kretschmann, 24.11.2011. PDF
* Karl-Dieter Bodack: „Stuttgart 21“ scheitert in sechs Problemfeldern. , Stand: 29.11.2011 (Abruf: 17.12.2011).
* Koalitionsvertrag zwischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD Baden-Württemberg. Baden-Württemberg 2011. „Bei Volksabstimmungen über die Änderung von Gesetzen soll das Zustimmungsquorum entfallen und bei der Änderung der Landesverfassung soll es abgesenkt werden. Bei Volksabstimmungen über die Änderung von Gesetzen soll das Zustimmungsquorum entfallen und bei der Änderung der Landesverfassung soll es abgesenkt werden“ (S. 60). (Abruf: 3.12.2011).
* Jens Loewe: Demokratie oder Täuschung? Überlegungen zu der anstehenden Volksabstimmung über Stuttgart 21. (Stand: 24.08.2011).
* Mehr Demokratie e.V: „Stuttgart 21-Monitoring“, Pressemitteilung vom 29.11.2011.: „In einzelnen Fällen sei es außerdem zu einseitiger Einflussnahme gekommen, etwa durch die Stadt Stuttgart. „Oberbürgermeister Wolfgang Schuster hat für 130.000 Euro alle 370.000 Stimmberechtigten anschreiben lassen“, erläutert Weber „Außerdem ist die Stadt Mitglied im pro Stuttgart 21 eingestellten Verein Turmforum. Hier wurden und werden zum Vorteil der Nein-Seite auf nicht nachvollziehbare Weise Steuergelder ausgegeben.“ (Abruf: 17.12.2011).
* Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg: „Kopfbahnhof könnte heute schon mehr Züge abwickeln als S 21“, Pressemitteilung vom 22.11.2011. (Abruf: 14.12.2011).
* Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg: "Prüfung der Untersuchung 'Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Hauptbahnhofs in seiner heutigen Gleiskonfiguration' der Vieregg-Rößler GmbH", 21.11.2011 (Az.: 3800.9-00).
* Regionalverband Donau – Iller, Sitzung der Verbandsversammlung am 15. November 2011 in der Stadt Memmingen. (Stand: 21.11.2011).
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Zur Historie der Stuttgarter Erklärung im Parkschützer-Forum:
(1.12.2011) sowie (3.12.2011).
Die vorliegende Version ist zu finden unter dem Download-Link, der hinterlegt ist
Endredaktion: Ulrike Braun (SoS21 Schwabenoffensive gegen Stuttgart 21)
Ja – ich stimme der Stuttgarter Erklärung zur Fortführung des Widerstandes gegen Stuttgart 21 zu und unterstütze die Forderungen der Bürgerinnen und Bürger der Protestbewegung!
Wie können Sie das?
► Sie können online unterzeichnen:
Die Stuttgarter Erklärung ist zum Unterzeichnen auf openPetition eingestellt.
Dort finden Sie auch den Download-Link, unter dem der Text der von Ihnen unterstützten Erklärung hinterlegt ist.
Unterschriften mit Adressen außerhalb Baden-Württembergs sind zwar streng genommen nicht „gültig“. Sie wirken aber dennoch politisch und zeigen die überregionale Bedeutung unseres Anliegens.
Die Online-Unterzeichnung ist für uns am einfachsten zu verwalten und auszuwerten.
Sie können aber auch gerne „auf Papier“ unterschreiben:
► Sie können direkt auf einer Sammelliste bei der Mahnwache am Hbf-Nordausgang in Stuttgart unterschreiben.
► Sie können auch selber Unterschriften sammeln, indem Sie diese Seite einschließlich der nächsten Seite ausdrucken oder kopieren und leserlich ausfüllen lassen.
Danach zurücksenden an:
Bürger gegen S21 / Stuttgarter Erklärung
c/o Parkschützerbüro, Urbanstr. 49A, 70182 Stuttgart
oder bei der Mahnwache abgeben.
STUTTGARTER ERKLÄRUNG zur Fortführung des Widerstandes gegen Stuttgart 21
V.i.S.d.P. Ulrike Braun (Bürger gegen S21/Stuttgarter Erklärung) c/o Parkschützerbüro, Urbanstr. 49A, 70182 Stuttgart
Auch in Baden Württemberg wäre nach dem Landesergebnis zur Bundestagswahl 2013 wieder Schwarz-Gelb am regieren. Die Grünen haben im Vergleich zur BTW 2009 Prozente verloren, von den Höhenflügen zur letzten Landtagswahl ist nichts mehr zu sehen. Die Grünen haben sich von der SPD domestizieren lassen und sind so zu umsetzern von Stuttgart 21 geworden, statt das Projekt so streng zu begleiten, dass alle Beteiligten die Lust an der Vollendung dieses Irrsinns verlieren. Eine Grün-Rote Landesregierung wird wohl ebenso eine kurze Episode bleiben, wie 4 Landtage mit Piratenpartei. Es wird spannend, ob Grüne und Piraten ihr Schicksal noch wenden können? Und zur Umsetzung von Stuttgart 21 braucht es auch keine SPD! Es ist also nur logisch, statt solcher Fälschungen dann das Original der Korruption weiter machen zu lassen. Mappus Erben werden wohl bald wieder das Ruder in der Hand haben. Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten, zusammen mit den machtlüsternenen Grünen. Oder sind es nicht doch die Wähler, die sich durch falsche Hoffnungen an die etablierten Parteien selber betrügen? Wer glaubt, das Volksvertreter das Volk vertreten, glaubt auch, das Zitronenfalter Zitronen falten.
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